Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Art. 2. Grrundrechte. Ketteler. 919 
Graf Aenard (Groß-Strehlitz-Cosel)“): Meine Herren, es hat der Herr 
Bischof von Mainz von dem höheren Standpunkte aus, den er so eben in 
seiner Rede für sich in Anspruch genommen hat, ebensowenig wie der Herr 
Abgeordnete Reichensperger von dem niederen Standpunkte aus, mit dem er 
sich neulich begnügte, den Widerspruch in irgend einer Weise zu erläutern 
oder zu beseitigen vermocht, der darin liegt, daß gerade jene Herren, die in 
kirchlicher Beziehung einer Partei angehören, die vor kurzer Zeit die fast 
zweitausendjährige bischöfliche Verfassung der katholischen Kirche zu Gunsten 
eines absoluten Regiments gestürzt hat, — (Sehr wahrl) wie gerade diese 
Herren dazu kommen, die Grundrechte, also liberale Institutionen, hier zu 
befürworten. Ich will den Herren getrost es überlassen mit der Logik und 
der Konsequenz dieses Verfahrens sich selbst abzufinden. Mit beredten Worten 
hat der Herr Abgeordnete von Treitschke neulich die Gründe entwickelt, welche 
bestimmen müßten den Antrag Reichensperger und Genossen abzulehnen, 
und ich kann mich deshalb auf einige wenige Worte beschränken, um den 
Standpunkt zu kennzeichnen, den viele meiner politischen Freunde und ich zu 
der Sache einnehmen. In einer Beziehung allerdings sehe ich hoffnungs- 
reicher auf das Zukunftsleben deutscher Nation als der Herr Abgeordnete von 
Treitschke; ich glaube, daß es nicht allzu lang währen wird, und es wird 
dem deutschen Geiste auch gelingen, die Aufgabe zu lösen der freien Kirche 
im freien Staat. (Bravol) Im Uebrigen sind wir der Ansicht, daß es 
nicht recht und auch nicht einmal zweckmäßig ist, den Antrag Reichensperger 
hier todt zu schweigen durch Uebergang zur einfachen Tagesordnung oder 
todt zu machen durch pure Ablehnung. Die Materien, von denen der An- 
trag handelt, sind ja von weittragender Bedeutung, sie verdienen auch mehr 
als bloße Rücksichtsnahme, sie erheischen eine durch und durch erschöpfende 
Behandlung. Es werden auch Fragen darin geltend gemacht, welche zweifellos 
über kurz oder lang im Reiche beantwortet werden müssen. Nur über das 
Wann sind wir mit den Antragstellern verschiedener Ansicht, das Wie will 
ich zur Zeit in keiner Weise präjudiziren. Was die Formulirung der Motive 
betrifft, die uns bestimmt haben, uns hier dissentirend zu verhalten, so finden 
Sie dieselben in der von uns vorgeschlagenen Tagesordnung angegeben, und 
da meine ich auch mit dem Herrn Abgeordneten von Treitschke, daß es eines 
so hochwichtigen Gegenstandes unwerth ist, ihn bei Gelegenheit einer rein 
redaktionellen Verfassungsänderung und so nebenbei abzumachen. Wir wollen 
eine viel gründlichere Erledigung desselben. Die Reduktionstabelle, die die 
Antragsteller uns geboten haben, erscheint uns unvollständig, unklar und 
unfertig. Wir wollen eine ernste, treue und gewissenhafte Prüfung, und daß 
eine solche zur Zeit nicht zu erwarten ist, darüber wird im Hause wohl kein 
Zweifel existiren. (Zustimmung.) Was uns aber vor Allem bewegt und 
bestimmt, uns diesem Antrage gegenüber ablehnend zu verhalten, sind die 
6) St. B. S. 114 l. g. u.
	        
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