Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

926 lI. Session des deutschen Reichstages. 
möglich die konfessionelle Schule genommen werden soll. Der eigentliche Geist 
der Verfassung ist aber doch der, daß der Staat das Unterrichtswesen selbstständig 
zu ordnen und zu überwachen hat, und daß nur der Religionsunterricht von Geist- 
lichen in der Schule zu geben oder zu überwachen ist. — Meine Herren, dieses 
Gebiet ist nun von Ihnen immer ein bestrittenes gewesen, und wir können 
Ihrem Eifer, für die Freiheit in dieser Beziehung zu wirken, um so weniger 
Vertrauen schenken, als Sie gleichzeitig einen besonderen Eifer zeigen, wenn 
Sie bei uns in Preußen eine Verwaltung auf das Lebhafteste unterstützt 
haben, die wesentlich dazu beigetragen hat, den konfessionellen Gegensatz aus- 
zubilden und zu stärken, (Lebhaftes Bravo links und Ruf: Sehr wahrl) die 
ganz besonders wesentlich dazu beigetragen bat, die protestantische Kirche nicht 
aus der Konsistorialverfassung herauszulassen, die protestantische Kirche der 
Regierung gegenüber rechtlos in dem krankhaften Zustand des Cäsaropapismus 
zu erhalten, — während Sie dabei der vollen Freiheit sich erfreuen! Diese Ver- 
waltung haben Sie unterstützt und mit vollem Rechte, denn Sie haben den 
Vortheil davon gehabt. (Sehr richtigs) Wenn diese Thatsachen aber fest 
stehen, so wird es uns doch schwer, daran zu glauben, daß Sie immer mit 
gleichem Maß und gleicher Gerechtigkeit überall messen werden. Meine 
Herren, was nun speziell die Trennung des Staats und der Kirche betrifft, 
verlangen wir in erster Linie, daß dabei die Seldstständigkeit der Schule, 
Selbstständigkeit des Unterrichtswesens der Kirche gegenüber festgestellt wird; 
und dann verlangen wir auch, daß das Individuum rechtlich sicher gestellt 
wird gegen alle Verkümmerungen und Beherrschungsversuche der Freiheit, 
welche die einzelnen Konfessionen machen. (Hört! Hört!) Warum haben 
Sie sich nicht an die Grundrechte der Frankfurter Reichsverfassung gewandt, 
wenn Sie einmal Giundrechte in diesem Augenblick aufstellen wollen, warum 
haben Sie sich nicht an diese gewandt, statt an die Grundrechte der preußi- 
schen Verfossung? (Sehr wahr!) In den Frankfurter Grundrechten ist fest- 
gestellt die Freiheit des Individuums, seine Sicherstellung gegen jeden Angrif, 
den die Kirche direkt oder indirekt durch den Staat auf dasselbe machen kann. 
In den Frankfurter Grundrechten ist zur Sicherstellung der persönlichen Frei- 
heit, sogleich hinter dem Satze: „Jeder Deutsche hat rolle Glaubens= und 
Gewissensfreiheit", zur Interpretation dieses Satzes noch hinzugefügt: „Nie- 
mand ist verpflichtet, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren". Damit 
ist erst die Freiheit des Individuums konfessionellen Ansprüchen gegen- 
über, die der Staat bis jetzt immer noch zu Geltung gebracht hat, sicher ge- 
stellt. Es gibt aber noch andere Gebiete, auf denen wir fordern müssen, 
daß wenn die Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche vor sich geht, 
diese Auscinandersetzung auch vollzogen wird. Das ist das Gebiet der Ehe- 
gesetzgebung. Die preußische Verfassung hat in ihren Grundrechten den 
Artikel über die Civilehe. Wie kommt es, daß, wenn Sie die Paragraphen 
über die Rechte der Kirche herausnehmen, Sie gerade diesen Artikel, dessen 
Bestimmungen nothwendig zur Ausführung der Trennung von Kirche und
	        
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