928 I. Session des deutschen Reichstages.
lichkeit, daran kann Niemand denken! Wenn wir, getragen von diesem Ver-
trauen, unsere Arbeiten führen, so können wir trotz aller Meinungsverschiedenheit,
die unter uns besteht, doch hoffen das alte preußische Wort wahr zu machen:
die Früchte der Revolution zu ernten auf dem Wege der regelmäßigen Reform-
arbeit, ohne daß wir zu einer Revolution zu greifen nöthig haben. Wenn
wir mit dieser Arbeit rüstig vorgehen, so können wir wir hoffen, daß wir die
Epoche der eurepäischen Revolutionen abgeschlossen haben. Das können wir
aber nur, wenn wir gegenseitig unsere Freiheit achten, aber auch nur, wenn
wir gegenseitig das Vertrauen haben können, daß keine Hintergedanken da
sind, daß keine Befehle, keine Herrschaftsansprüche geltend gemacht werden
von einer Seite, die nicht von uns kontrolirt werden kann. Wenn Sie Ihre
Kirchenangelegenheiten zanz ausschließlich selbst venwalten wollen, dann müssen
wir das Gebiet, auf dem Staat und Kirche miteinander in Beziehung stehen,
uno netu lösen und nicht, daß Sie erst Ihren Theil bekommen, daß wir
die Schule Ihnen überlassen, wie das bisher der Fall in Preußen gewesen
ist, und daß Sie mit den verschiedenen Parteien dann paktiren über dee
Civilehe. Nein, meine Herren, das geht nicht; wenn wir ein solches Gesetz
geben, wollen wir es ganz geben, nicht halb. (Bravo! links.) Meine Herren,
das ist der Standpunkt, den wir gegen Ihre Forderungen einnehmen. Des-
halb sagen wir in unserer Tagevordnung: was Sie verlangen, ist unvoll-
kommen, garantirt nicht ldden Frieden, den auch Sie im Reiche verlangcn,
sondern was Sie verlangen, führt zur Herrschaft einer Partei über die andere!
Meine Herren, was Sie in Bezug auf die Presse verlangen, darüber haben
Sie Alle eigentlich kein Wort mehr verloren, das ist wohl nur Alletz Gin-
leitung gewesen, um zu Ihrem weiteren Verlangen zu kommen. (Heiterkeit.)
Jedenfalls sind die Punkte,, die sie dort feststellen, von der Zeit vollständig
überholt. Wir fürchten uns in der That nicht mehr, daß wir die Censur
wieder bekommen. Was wir verlangen bei einer Prozeßgesetzgebunng, die ja
hier in diesem Hause wahrscheinlich vorgenommen werden wird, ist das, daß
wir die Reste der Censur, die in der vorläufigen Beschlagnahme noch vor-
handen sind, los werden, daß wir die letzten Reste der Vermögenskonfiskation
aus der Gesetzgebung los werden, die darin liegen, daß ein Blatt, das
mehrere Male verurtheilt ist, aufhören muß zu eristiren, daß also das Kapi-
tal, das hineingesteckt, vernichtet wird; daß wir ferner ein Verfahren ver-
langen, wonach die Meinung der Mitbürger über ein solches Vergehen ihren
Ausdruck finden kann: nämlich das Geschworenenverfahren. Wenn sich die
Herren an die Grundrechte der Frankfurter Reichsverfassung gewendet hätten,
so hätten Sie wenigstens einen Theil dieser Verlangen gestellt. Wir werden
uns bei der späteren Berathung auf diesem Boden wiederfinden; denn wenn
Sie auch nicht diesen freiheitlichen Ausbau unserer Verfassung verlangen
sollten, — und ich glaube, nach Ihrer Stellung werden Sie wenigstens für
die Kirche immer wieder darauf zurückkommen — wir werden immer bereit
sein, an dem Ausbau der Freiheit in unserer Verfassung Theil zu nehmen.