Art. 2. Grundrechte. Loewe. 929
Ich zweifle auch nicht daran, daß es eine ganz falsche Interpretation ist, die
man den Worten des verehrten Abgeordneten Lasker gegeben hat, als er eine
kurze Zeit Ruhe verlangt hat, als ob er sagen wollte, er und seine Freunde
seien jetzt befriedigt und nicht mehr mitbereit jeden Augenblick in die Arbeit
für die freiheitliche Entwicklung der Verfassung einzutreten. Wir zweifeln
nicht daran, daß sie mit uns Hand anlegen werden. Meine Herren, wie
mein Freund Schulze Ihnen im Eingang der Debatte gesagt hat, wir wollen
in diesem Augenblick erst das Verfassungswerk formell zum Abschluß bringen,
— ein Werk, das nicht unsere Zustimmung in allen Beziehungen gehabt hat,
das wir vielfach anders gewünscht hatten. Es ist aber beschlossen, und nun
wollen wir den Rechtsboden erst unter den Füßen haben. Damit wollen
wir aber nicht unsere Arbeiten aufgeben, denn wir sind überzeugt, daß wir
das neue Reich erst wahrhaft begründen, wenn wir die Freiheit unseres
Velkes festhalten und erweitern, und zwar vor allen Dingen die persön-
liche Freiheit der Bürger, und nicht blos in großen Verfassungsfragen — so
wichtig auch eine weitere Ausbildung der Verfassung ist. Was nun unsere
Tagesordmung betrifft, so glauben Sie uns wohl, daß wir nicht nöthig haben
sie aus Rücksicht auf unsere Wähler zu stellen — denn in der That, Sie
glauben es uns als einer alten Partei wohl Alle, daß wir mit unsern Wählern,
wenn es sich um die freiheitliche Entwickelung der Verfassung, um die
Grundrechte handelt, nicht fürchten müssen, ihnen in einem falschen Lichte zu
erscheinen. — Wir haben in der That unsere motivirte Tagesordnung nicht
vorgeschlagen, nur um den Interessen unserer Partei zu dienen, sondern wir
haben sie vorgeschlagen im Interesse des ganzen Hauses, weil wir voraussahen,
daß peinliche, verwirrende Debatten hier bei dieser Gelegenheit stattfinden
werden. Wir wünschen, daß das Haus sich darüber ansspreche und damit jede
Verdächtigung von vornherein zurückweise, daß es die Freiheit des Volkes
nicht blos zu schützen, so weit sie besteht, sondern daß es auch die Entwicke-
lung einer freiheitlichen Gesetzgebung zu fördern bereit ist. Ich rathe Ihnen
umsomehr das zu thun, meine Herren, als der Antrag von einer äußerst
einflußreichen Stelle gekommen ist, von einer Stelle, deren Mitglieder viele
Mittel in Händen haben, die öffentliche Meinung zu bestimmen, und die
auch auf die Bildungsstätten unseres Volkes einen großen Einfluß ausüben.
Meine Herren, also nicht in unserem Parteiinteresse, sondern im Interesse
des ganzen Hauses, um jede Verdächtigung unmöglich zu machen, bitte ich
Sie, für unsere motivirte Tagesordnung zu stimmen. (Bravol)
Dr. Windthorst aus Celle (Aschendorf-Hümmling-Meppen): Meine
Herren, die Angelegenheit, welche uns hier beschäftigt — das zeigt wohl der
Verlauf der Diskussion — ist von großer, eminenter Bedeutung, und des-
balb ist es, daß ich, obwohl ich nicht im Stande sein werde, viel Neues zu
"*) St. B. S. 118 l. u.
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