944 I. Session des deutschen Reichstages.
baren Papst darüber entscheiden lassen, ob ein Gesetz gegen Gottes Gesetze
sei, und da muß ich aufrichtig gestehen will mir fast scheinen, als ob die
Herren Reicheusperger und Genossen mit ihrem eigenen Antrage in Konflikt
kämen mit dem, was der unfehlbare Papst lehrt. (Hört! Hört!) Die Herren
Abgcordneten Reichensperger und Genossen verlangen allgemein unbedingte
Preßfreiheit. Ich habe noch keinen päpstlichen Erlaß gelesen, der sich für
die Preßfreiheit ausgesprochen hätte, (Heiterkeit) aber, meine Herren, ich habe
viele Allofkntionen und Encykliken gelesen, worin die Preßfreiheit als ein
Werk des Teufels und der Hölle hingestellt ist. Wenn die Preffreiheit ein
Werk des Teufels und der Hölle ist, dann muß sie nothwendig gegen Gottes
Gesetze sein, und wenn sie gegen Gottes Gesetze ist, dann begreife ich nicht,
wie dic Herren uns vorschlagen können, wir sollen einen Satz über die Preß-
freiheit in die Reichsverfassung aufnehmen. (Bravol) Der Herr Abgeordnete
für Tauberbischofsheim hat ferner betont den Standpunkt der Gerechtigkeit gegen
alle Konfessionen. Ja, meine Herren, das ist etwas sehr Schönes, allein
auch hier möchte er mit den Gumdsätzen der römischen Kurie einigermaßen.
in Konflift kommen, ich muß das wenigstens annehmen, so lange noch alle
Jahre am grünen Donnerstag die Bulle „In coena dominis verlesen wird.
(Ruf: Wird nicht mehr verlesen.) Wenn sie nicht mehr verlesen wird, so ist
mir das sehr lieb, aber sie ist wenigstens nicht aufgchoben, und ich habe auch
noch nicht gehört, daß die Grundsätze, welche früher in Rom bezüglich der Ketzerei
bestanden haben, in neuerer Zeit verändert worden sind. Der Herr Abgeord-
nete für Tauberbischofsheim hat sodann gesagt, es müsse einc besonnene und
kluge Gesetzgebung die rechte Grenze finden zwischen Staat und Kirche und
zwischen den einzelnen Religionsgesellschaften. Darin bin ich mit dem geehr-
ten Abgeordneten vollkommen einverstanden; aber eben weil diese Erenze erst
gefunden werden muß und weil sie nicht in einem allgemeinen Satze liegen kann,
eben deswegen müssen wir es zurückweisen, das Verhältuiß zwischen Staat
und Kirche durch einen solchen allgemeinen Satz zu regeln und müssen uns
vorbehalten, wenn überhaupt angenommen werden sollte, daß das Reichssache
sein solle, in einem ganz bestimmten, deutlichen und spezificirten Grsetze auf
allc hier zu berücksichtigenden Umstände Rücksicht zu nehmen und durch ein
solches Gesetz das neue Staatskirchenrecht zu begründen. (Sehr wahr!) Um
die Kompetenz des Reiches nachzuveisen, hat uran sich auf Artikeh 4 Nr. 1
berufen, wonach das Vereinswesen mit in den Kreis der Reichogesetzgebung
gehört, und hat dadurch gewissermaßen die Kirche selbst zu einem Vereine
degradirt. Meine Herren, wir sind bisher nicht gewohnt gewesen, daß man
die katholische Kirche oder auch eine andere anerkannte Kirchengesellschaft nur
wie einen gewöhnlichen Konsumtions= oder ähnlichen Verein behandele, und
die Kirchen werden sich das wohl auch nicht gefallen lassen; wir haben von
der Kirche in Süddeutschland noch eine bessere Auffassung, und wir haben,
als wir den Verträgen zustimmten, auch nicht gedacht, daß unter der
Gesetzgebung über das Vereinöwesen und ihrer Anfnahme in die Kompetenz