Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

946 I. Session des Deutschen Reichstages. 
den Antrag der Abgeordneten Schulze und Genossen, so genirt uns in diesem 
ein Punkt: es sind uns die Gumdrechte zu sehr betont. Ich erlaube mir, 
Ihnen noch mit wenigen Worten unsere Ansicht hierüber klar zu machen. 
Wir glauben, wir müssen bei den Grundrechten unterscheiden zwischen der 
Materie und der Form. Insofern es sich um die Materie handelt, nämlich 
darmm, die persönliche, bürgerliche, politische, religiöse Freiheit innerhalb der 
Kompetenz der Reichsverfassung zu begründen, zu erweitern, zu fördern, sind 
wir dafür so gut wie Einer von Ihnen. Aber, meine Herren, wenn es sich 
darum handelt, dieses in der Form von Grundrechten zu thun, d. h. in der 
Corm, daß allgemeine Sätze in die Reichsverfassung gesetzt werden, so sind 
wir gegen die Anwendung dieser Form. Wir wollen, daß die Freiheiten ge- 
geben werden durch die Schaffung von Spezialgesetzen, welche es einerseits 
möglich machen, das dem Gesetze zu Grunde liegende Prinzip, das eigentliche 
Grundrecht in den einzelnen Fällen richtig anzuwenden, und welche auf der 
andern Seite auch gegen den Mißbrauch des Grundrechtes schützen. Dem 
ein allgemeiner Satz, meine Herren, hat die Gefahr des Mißbrauchs viel 
mehr in sich als ein spezielles, detaillirtes Gesetz, und in sehr vielen Fällen 
hat die Erfahrung gelehrt, daß man binwiederum mit einem allgemeinen 
Satze, wenn man ihn anruft, gar nichts machen kann, weil die Richter und 
die Beamten, die ihn anwenden sollen, die nöthigen Details nicht haben, um 
ihn wirklich zur praktischen Geltung zu bringen. Darum, meine Herren, sind 
wir gegen die Form der Grundrechte, und darum wollen wir nicht heute 
ctwas versprechen, was wir später vielleicht nicht halten können. Erlauben 
Sie mir schließlich noch eine Bemerkung. Es ist gewiß auch mein Wunsch, 
daß der religiöse Friede erhalten oder wenn er schon gestört sein sollte, neu 
begründet werde. Aber meine Herren, für eine so leichte Aufgabe, wie man 
dies von der andern Seite ansieht, kann ich es wahrlich nicht betrachten. 
Im Gegentheil, nach dem, was vorausgegangen ist, ist das die Aufgabe einer 
langen und schweren Arbeit, und im innern Leben der katholischen Kirche 
zunächst muß vorher Manches geschehen, wenn die Aufgabe gelöst werden soll. 
Wenn die katholische Kirche in ihrem inneren Leben abstrahiren will von der 
Geltendmachung jener Sätze, welche durch die römischen Päpste im Laufe der 
Jahrhunderte ausgebildet worden sind über die Macht des Papstes über alle 
Staaten und Fürsten, wenn sie sich der Duldsamkeit befleißigen will, wenn 
sie unsere sozialen Einrichtungen und unsern sozialen Frieden nicht stören will 
durch die Behinderung der gemischten Ehen, und ähnliche Dinge sind, knz 
wenn sie sich daran gewöhnt, den Geist der Neuzeit in sich hinein zu tragen 
und die Dentsche Wissenschaft höher zu schätzen als die römische Scholastik, 
dann, meine Herren, wenn ihr das gelingt, wird auch der Zeitpunkt kommen, 
wo wir ohne viele Schwierigkciten eine Einigung zwischen Staat und 
Kirche werden herstellen können, die dann alle Theile befriedigt! (Lebhaftes 
Bravo.)
	        
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