Art. 2. Grundrechte. Kiefer. 949
Wahrheit einen demüthigen Vertrag zu Gunsten der rêmischen Kirche ab-
schließen, als deren Unterhändler sich der Abgeordnete Windthorst und seine
Freunde darstellen. Der Herr Abgeordnete Windthorst hat uns eine
zroße Reihe freisinniger Dinge als die Grundlage und Grundrichtung seiner
Anerbietungen ausgeführt, aber — werden denn seine Sätze auch von seinen
angeblichen Mandatgebern, den Inhabern der Autorität des römischen Stuhles
anerkannt? Der Herr Abgeordnete Barth hat es schon ausgesprochen, und
es bedarf das keiner Versicherung, diese Theorie wird nicht anerkannt werden,
sie steht im Widerspruch mit der Grundrichtung gerade der neusten Bestre-
bungen der römischen Kirche. Jenes absolutistische Regiment, welches eine
neue verfassungsmäßige Weihe empfangen hat durch das neueste Konzil,
würde sich, und zwar mit Recht, sehr wenig bekümmern um das, was der
Herr Abgeordnete Windthorst uns hier mit so großer Freigebigkeit verspricht.
(Heiterkeit.) Herr von Ketteler hat als die höchste humane Errungenschaft
dieser staatskirchenrechtlichen Bestrebungen die rechtliche Parität der Kon-
fessionen bezeichnet. Meine Herren, diese Ansicht lobe ich, aber ich frage
zugleich: wer hat uns die Parität als ein modernes Staatsprinzip erfochten?
Ich antworte: der Geburtstag des neuen Deutschlands ist nicht die Zeit, in
der das Schwert der Hohenstaufen über Deutschland waltetc, und noch viel
weniger die Tage, in denen die Habsburger mit der Kirche spanisch-roma-
nische Politik in Deutschland trieben und sich dadurch zu Grunde richteten; —
die Geburtsstunde des neuen Deutschlands ist die Zeit, in der Friedrich der
Große mit seiner neuen Politik und mit seinem Degen eintrat für das moderne
Staatsbewußtsein, indem er aus der Erbschaft seiner Väter und mit den
Mitteln ihrer Politik eine neue Großmacht schuf, welche entschlossen war,
sich dadurch den Weg zu einer glänzenden Zukunft zu eröffnen, daß sie sich
an die Spitze aller großen, sich von dem Mittelalter und seinen Traditionen
abwendenden und dem Fortschritte der Neuzeit huldigenden Staatsideen setzte.
Meine Herren, Friedrich der Große und seine Politik und das, was von
ihr fortwirkt in unsere Tage hinein, hat allein den Grundsatz der Parität
sin den Beziehungen der Konfessionen unter sich und zur Staatsgewalt ge
chaffen, und die römische Kirchengewalt, von der man uns sagt, daß sie nur-
einen einfachen Verein repräsentire, hat diesen Grundsatz nie anerkannt, hat
vielmehr in feierlichen Kundgebungen, in Syllabus und Encyklika, ausdrücklich
den Grundsatz der Parität verdammt! (Oho! im Centrum. Lebhafte
Zustimmung links.) Also in Allem, was uns der Herr Abgeordnete
Windthorst seinerseits gleichsam als eine große Errungenschaft der Zeit
anpreist und was der Herr Abgeordnete für Tauberbischofsheim hier gleich-
sam segnet, würden wir gar nichts erlangen, wenn wir in gutem Glanben
zugriffen, als eine grobe Täuschung, die allerdings Jedermann in die Lage
setzen würde uns vorzuwerfen: „Ihr habt hier nicht wie politische Männer,
nicht wie reife und erfahrene Volksvertreter gehandelt, sondern wie Kinder;
ihr habt euch etwas vormachen lassen, ihr habt kurzsichtig etwas hingenommen,