Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

954 I. Session des deutschen Reichstages. 1871. 
wie mehr und mehr auf jener Seite die konservativen Prinzipien verdunsten: 
(Sehr gut! im Centrum) ich habe noch vor wenigen Tagen mein großes 
Wunder darüber gehabt, daß gegenüber der keineswegs nationalen, sondern 
internationalen europäischen Rerolultionspartei, die sich doch wahrlich maufig 
genug in diesem Augenblick macht, die konserrative Partei selbst die Mäg- 
lichkeit einer Intervention und Einmischung in anderer Leute Händel vollstän- 
dig ron sich abwies. (Bewegung.) Der Herr Abgeordnete hat dann sich 
darauf berufen, daß seine Geistlichen ja gar nicht agitirt hätten. Ja, meine 
Herren, die hatten es auch gar nicht nöthig. Wem standen wir denn gegen- 
über? Feinde ringsum (große Unruhe) heute und bei den Wahlen, auf allen 
Seciten Gegner und alle wirkten zusammen. Also, wenn wir da unsere Kräfte 
möglichst angespannt haben, dann bitte ich uns das nicht zu verübeln. Der 
Herr Abgeordnete von Blanckenburg fragt, ob wir denn etwa meinten, daß 
es ihre Absicht sei, den Artikel 15 der preußischen Verfassung aufzuheben. 
Nein, meine Herren, das meine ich zwar nicht, allein die Garantien, die 
dieser § 15 der preußischen Verfassungsurkunde bietet, find zum Theil 
schon aufgehoben, denn sie sind eben in Frage gestellt durch die Nummer 16 
des Artikels 4 der Reichsverfassung, durch das Hineinziehen der Vereinsgesetz- 
gebung in die Reichskompetenz; und weil hierdurch die Garantien, auf die 
wir uns in Preußen so gerne stützen, im Reiche mehr oder minder gefährdet 
erscheinen, deshalb wünschen wir, daß auch im Reiche die gleichen Garantien zur 
Geltung kommen. (es ist uns dann von demselben Abgeordncten vorgeworfen, wir 
befänden uns im Widerspruch mit uns selbst: wir hätten früher jede Kompetenz- 
erweiterung zu Gunsten der Reichsverfassung eifrig bekämpft, und jetzt gäben 
wir mit einem Male diesen Standpunkt auf. Da liegt wohl ein kleiner 
Irrthum zu Grunde. Wir haben nicht die Absicht, die Kompetenz zu er- 
weitern, sondern nachdem die Kompetenz erweitert ist, suchen wir auf diesem 
erweiterten Boden die alten Garantien. Endlich hat er uns vorgeworfen 
wir hätten die Forderung gestellt, das Reich solle interreniren gegen Italien, 
und doch sei der Papst ja nur einc rein innere Angelegenheit der Katholiken. 
Nein, meine Herren, so eine blos innere Angelegenheit ist der Papst denn 
doch nicht. Wenn das legitimste und älteste Recht in Europa in der 
ruchlosesten Weise (Aufsehen) angegriffen und beeinträchtigt wird, dann ist 
das keine ausschließlich in nere katholische Frage mehr, — freilich ist es das 
auch, aber es reicht die Bedeutung weit darüber hinaus — es ist eine allge- 
meine Frage der Rechtssolidarität in Europa. (Sehr richtig! im 
Centrum.) Ich erlaube mir dann, indem ich auf die Reden der Herren 
Graf Renard und von Treitschke nicht zurückkommen zu müssen glaube, nur 
noch ein paar Worte aus Anlaß der Rede des Herrn Abgeordneten Dr. Löwe. 
Ich wende mich unter allen Ausführungen, die wir gehört haben, am liebsten 
zu dieser; denn ich fühlte in dem Eingange dessen, was der Herr Abgcord- 
nete sagte, und auch gegen den Schluß seiner Rede mich mit ihm auf gleichem 
oder verwandtem Boden. Auf gleichem Boden stehe ich mit ihm, wenn er
	        
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