Art. 2. Grundrechte. Mallinckrodt. 955
sagt, es bandle sich hier nicht um den Boden der Glanbenseinheit, sondern
um den der Freiheit. Ich nehme das in vollem Maße, im vollen Sinne
des Wortes an; ich nehme es nicht nur an für mich, ich nehme es an für
alle meine politischen Frcunde. Wir wollen die Freiheit, die Freiheit für jede
Klasse, für jeden Stand und jeden Stamm, wir wollen die Freiheit für die
Entwickelung geistiger und materieller Interessen und Bestrebungen: — mit
einem Worte, wir wollen — ohne Prävention — auf dem Boden einer von
starker Hand gehalteuen und gesicherten, gerechten, sittlichen Gesetzgebung die
Freiheit des Guten und des Bösen. (Bewegung.) In Einem, aber in einem
Kardinalpunkte finde ich mich mit dem Herrn Abgcordneten im Widerspruch. Er
betont vor Allem die Trennung des Staates von der Kirche; auf dem
Gedankenwege folge ich ihm nicht. Ich halte die Trennung des Staates von
der Kirche nicht für das wünschenswerthe, selbst nicht einmal für cin mög-
liches Ziel, wohl aber das selbstständige Nebeneinanderstehen auf
den einander fremden Gebieten eines Jeden — und das wohlwollende, vertrauende
Zusammenwirken auf den Gebieten, wo beide sich einander berühren und
in einander greifen. Von diesem Standpunkt würden auch in weiterer Aus-
dehnung die Differenzpunkte zu erörtern sein, die in Bezug auf die Schule,
die in Bezug auf die Ehe und was dergleichen mehr ist von den geehrten
Herren hevorgehoben wurden. Ich komme zu der letzten Bemerkung, die er
machte. Er betonte als das Wünschenswertheste die Beseitigung des Miß-
trauens. Ja, meine Herren, die Beseitigung des Mißtrauceus — wenn wir
das erreichen könnten, so wäre das für uns das größte Geschenk, was Sie
uns machen könnten! (Bravol) Wir begegnen tagtäglich dem Mißtrauen
in Hülle und Fülle, und wie wir uns auch bemühen das Mißtrauen zu
zerstreuen, die Bemühungen scheitern immer von neuem an dem stets sich
neu aufthürmenden und neugestaltenden Vorurtheil. Glanben Sie nur,
wir find es wahrlich nicht, die eine Störung des konfessionellen Friedens
im Schilde führen. Halten Sie uns denn für so wahnwitzig, daß wir
in der Stellung, die wir im Deutschen Reiche haben, in dem Stärkeverhält-
niß der Kopfzahlen, in dem Verhältniß gegenüber den Regierungen, in dem
Verhältniß der Vertheilung der Güter und des Kapitals, der Vertheilung
der Aemter und was dergleichen Dinge mehr sind — daß wir da so thöricht
sein sollten, Zwiespalt zu säen, wo wir den Frieden haben könnten? Etwas
gesunden Menschenverstand sollten Sie uns wirklich doch zutranen. Meine
Herren, Sie haben neulich einen Rückblick in die Geschichte geworfen und cs
ist hingewiesen worden auf einen Keim der gerrüttung des Deutschen Reichces,
der gelegt sei mit der Einmischung des Reichs in auswärtige, namentlich in
italienische Verhältnisse. Meine Herren, ich gebe Ihnen zu, daß der Vor-
wurf keineswegs unbegründet ist. Man braucht ja mu hinzuweisen auf die
Hohenstaufeuzeit, insbesondere Kaiser Friedrich II., um das ganz klar zu
legen. Allein derartige Einwirkungen sind doch auch seit 3 bis 400 Jahren
von dem Deutschen Reiche aus nicht mehr versucht worden. Kaiser Karl V.,