Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

962 I. Session des deutschen Reichstages. 
Meinung, daß es hier allerdings im Großen und Ganzen nach Lage der 
Dinge ziemlich überflüssig ist, über die Grundrechte zu diskutiren, so lange 
man nicht entschlossen ist, nöthigenfalls die Grundrechte um jeden Preis auch 
mit Gewalt durchzuführen. (Gelächter.) Meine Herren, stellen Sie an die 
Krone Preußen hundert und tausend Mal das Verlangen und halten Sie 
in jeder Session achtzig und neunzig Ellen lange Reden über die Noth- 
wendigkeit und Nützlichkeit der Grundrechte, Sie werden nicht eher die Grund- 
rechte erlangen, bis Sie klar und deutlich aussprechen: Wenn das, was wir 
für unser Recht, für das Recht des Volkes halten, uns nicht bewilligt wird, 
so werden wir es gegen euren Willen uns nehmen! Also diesen Standpunkt 
muß meines Erachtens eine politische Partei, wenn sie eine vernünftige 
Partei sein will, festhalten. Auf der andern Seite mag sie verzichten 
freiheitliche Forderungen, namentlich radikale Forderungen irgendwie zu 
stellen. Es kommt aber noch ein anderer Grund hinzu, der namentlich in 
der gegenwärtigen Zeitpcriode wesentlich dazu beiträgt, die Herren von der 
liberalen Partei daron fernzuhalten, auf Durchführung politischer Freiheiten 
einzugehen. Das läßt sich nicht leugnen, daß wir in einer bewegungs- 
schwangeren Zeit uns befinden, und einer meiner Vorredner, der Herr Ab- 
geordnete von Mallinckrodt, hat ja darauf angespielt, indem er sagte: „die 
Europäische Revolutionäre Partei mache sich in diesem Augenblick eben etwas 
sehr mausig.“ Ich habe keine Ursache, diese Bezeichnung hier zurückzuweisen, 
ich selbst gehöre zu dieser Partei. (Große Unruhe und Gelächter.) Meine 
Herren, der Liberalismus muß sich eingestehen, daß er, wenn er mit frei- 
beitlichen Forderungen kommt und wenn er diese freiheitlichen Forderungen 
ernsthaft rersicht, auf alle Fälle auf unsere Unterstützung rechnen kann. Er 
weiß aber auch, daß die Durchsetzung der freiheitlichen Forderungen wesent- 
lich uns, der revolutionären Partei, zu Gute kommt, und weil er das eben 
weiß, darum werden wir in Deutschland, im neuen Deutschen Reiche genau 
das erleben, was wir in Frankreich und in anderen Ländern, wo die revolutionäre 
Partei in gewisser Stärke vorhanden war, stets erlebt haben, daß nämlich diese 
Herren sich lieber in die Arme der reaktionärsten Regierung werfen, als sich 
in eine noch so schwache Verbindung mit der Revolutionspartei einzulassen. 
(Von allen Seiten: Sehr richtig!) Ja, gewiß, sehr richtig! ich sage es ja 
auch. Meine Herren, als zu Anfang der sechziger Jahre der Konflikt in 
Preußen ausgebrochen war und zu der höchsten Blüthe sich entwickelt hatte, 
so hat, wie mir erzählt worden ist, irgend Jemand damals den Herrn von 
Bismarck gefragt, ob er denn nicht fürchte, daß dieser Konflikt zu gefähr- 
lichen Kollisionen, ja womöglich zu einer Revolution führen könne. Darauf 
soll Herr von Biemarsk — gewiß treffend — geantwortet haben: „Ah bah, 
weit mehr wie der Fortschritt mich haßt fürchtet er die Revolution!" Sehr 
richtig, meine Herren, es ist das eben nur die Illustration zu dem, was ich 
kurz vorher sagte. Wir werden in den heutigen Verhältnissen bei der Stellung, 
die unsere liberale Partei seit Jahren eingenommen hat, wo sie ein Freiheits-
	        
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