Art. 2. Grundrechte. Miquel. 965
Herren, solchen Dingen gegenüber werden Sie es uns doch nicht verargen,
wenn wir ein wenig Mißtrauen gegen Sie haben. Meine Herren, Sie
kommen hierher mit großen Forderungen; vorgestern“) wollten Sie die aus-
wärtige Politik des Deutschen Reiches im klerikalen Interesse bestimmen,
heute wollen Sie für die katholische Kirche Rechte und Privilegien, — ich
werde das noch näher ausführen — welche sich in Preußen nicht bewährt
haben, und welche Ihnen in Süddeutschland nach meiner Ueberzeugung nie
zugestanden werden können. Meine Herren, das allerdings muß einige
Verwunderung erregen. Wenn Sie mitgewirkt hätten an der Herstellung
dieses Deutschen Kaiserreichs, wenn Ihre Kräfte und Ihre Intelligenz mit-
gewirkt hätten, die Verfassung zu begründen, dann allerdings würde es natür-
licher sein, daß Sie heute schon mit solchen Forderungen an uns herantreten.
So aber werden Sie es natürlich finden, daß wir diese Forderungen zurück-
weisen, bis Sie durch Thatsachen bewiesen haben, und nicht durch Worte,
daß Sie sich ehrlich auf den Boden des beutigen Deutschen Reiches stellen.
(Zustimmung links.) Aber auch auf der andern Seite — ich habe mir vorge-
nommen, heute mit vollster Offenheit zu reden — (Heiterkeit) aber auch auf
der anderen Seite müssen wir mißtrauisch sein. Meine Herren, wenn wir
hier von Glaubensfreiheit und Freiheit predigen hören, und wenn die katho-
lische Kirche, die doch eine ecclesia unsa et universalis ist, deren Grund=
sätze überall gleich sind, in Tirol die Glaubenseinheit predigt, wenn wir noch
bis vor Kurzem in Spanien die Protestanten wegen ihres Glaubensbekennt-
nisses eingekerkert sahen, und wenn in dem Musterstaat der katholischen Kirche,
im Kirchenstaat selber bis heute noch keine Glaubensfreiheit eristirt, wenn
die katholische Kirche überall ein verschiedenes Gesicht zeigt, — dann ist es an
uns, mißtrauisch zu sein! (Sehr wahr! links.) Ich will kein Vertrauen
haben, ehe ich nicht Beweise habe — die Geschichte flößt mir kein Vertrauen
ein. Nun will ich zurückgehen auf die meiner Meinung nach die eigent-
liche Grundlage dieser ganzen Diskussion bildenden Ausführungen des Herrn
Freiherrn von Ketteler. Er hat allerdings hier einen Gegensatz in die Debatte
gebracht, der mit der größten Offenheit aufgeklärt und beantwortet werden
muß; er hat gesagt, wir wollen nur Freiheit, keine Ausnahmestellung, wir
wollen diejenigen Rechte, die die Andern haben, wir wollen keine Vorzüge,
keine Privilegien, weder privilegia odiosa noch benetiei. Gut! Diesen
Standpunkt werde ich auch acceptiren, und von diesem Standpunkt werde
ich ein wenig näher auf die Bedeutung des §5 15 der preußischen Ver-
fassung eingehen. Mcine Herren, die meisten Dinge in der Geschichte ver-
steht man nur dann, wenn man auf ihren Ursprung zurückgeht, und es ist
dies von mehreren Seiten hier im Hause und in dieser Diskussion bereits
geschehen. Es hat der Herr Abgeordnete von Treitschke darauf hingewiesen,
daß dieser Artikel entstanden sei in der Kindheit des Liberalismus, und es
ist diese Aeußerung ihm von den verschiedensten Seiten sehr unangenehm
*) Adreßdebatte.