Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

970 I. Session des deutschen Reichstages. 1871. 
Herr Abgeordnete daher an diesen Satz knüpfte, ist falsch. — Meine Herren, 
begegnen wir uns womöglich offen und ehrlich, nicht mit Mißtrauen: da, 
wo nicht die Thatsachen Mißtrauen gebieten, da, wo wir uns selbst einander 
gegenüberstehen, da wenigsteus sollten wir unseren Worten Gerechtigkeit wider- 
fahren lassen und uns nicht in einer solchen Weise mißrerstehen oder miß- 
deuten! Meine Herren, das ist gerade die Hoffnung, mit der ich schließe: 
wenn wir einmal längere Zeit hier im Deutschen Parlament zusammen- 
gearbeitet haben, wenn wir sehen von Angesicht zu Angesicht, hören von 
Mund zu Mund, # as der Einzelne will und wae er nicht will, — dann wird 
sich das natürliche Mißtrauen, welches aus den Kämpfen der Vergangenhein 
hervorgegangen ist, allmählig legen, die Gegensätze werden von selbst geringer 
werden; dann erst wird es möglich sein, zur Befriedigung aller Theile diese 
uns setzt trennenden Fragen zu ordnen! Bis dahin, meine Herren, kann ich 
nur rathen Geduld zu haben. (Brarvol) 
Probst aus Stuttgart (Navensburg-Riedlingen 2c.):)Meine Herren! 
Ich habe in früherer Zeit in meinem Heimatlande Veranlassung gehabt, mich 
mit dem Verhältnisse der Kirchen zum Staate zu beschäftigen. Ich habe die 
Ueberzeugung ausgesprochen und geltend zu machen gesucht, daß die Unab- 
hängigkeit und Selbstständigkeit der kirchlichen Genossenschaften auf Grundlage 
der Grundrechte, wie sie in Frankfurt gegeben worden sind, uns ein Bedürf- 
niß sei. Meine Herren, ich stehe heute auf demselben Standpunkt, ' nämlich 
auf dem Standpunkt der Anerkennung der Selbstständigkeit der Kirchen, wie 
sie schon in den Bewegungsjahren ausgesprochen worden ist. Man hat hier 
davon gesagt, daß die Grundrechte in der fraglichen Beziehung auf Kom- 
promiß beruhen. Das mag immerhin bergründet sein. Allein ich erlaube 
mir Sie daran zu erinnern, — und die Herren, die dem Frankfurter Parla- 
mente angehört haben, werden sich wohl selbst darauf besinnen können — 
daß damals im Wesentlichen die Grundrechte, soweit sie sich mit dem Ver- 
hältnisse der Kirche zum Staate beschäftigten, vertheidigt worden sind auch 
von der protestantischen Kirche aus. Das geschah insbesondere von dem da- 
maligen Parlamentsabgeordneten Zittel aus Baden, der ausführte, daß 
nicht blos die persönliche Freiheit an sich als ein Grundrecht aufgestellt werden 
müsse soudern insbesondere die Freiheit des Individuums sich in den reli- 
giösen Genossenschaften zu bewegen, und das Recht dieser Genossenschaften, 
selbstständig alle ihre Verhältnisse zu ordnen, ein wesentlicher und integrirender 
Theil der persönlichen Freiheit sein müsse: Er hat insbesondere berausgeboben, 
daß der Glauben und die Glaubensfreiheit nicht gedacht werden können, obne 
daß man neben der Freiheit des Individuums zu gleicher Zeit die Freiheit 
der Genossenschaften anerkenne. Auf diese Grundlage, meine Herren, babe 
ich schon früher mich mit der Sache beschäftigt und die Selbstständigkeit der 
kirchlichen Genossenschaften zu vertheidigen gesucht. Ich habe aber damals 
*) St. B. S. 137. Beginn der 11. Sitzung vom 4 April 1371.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.