Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Art. 2. Grundrechte. Probst. 975 
uns ganz besonders darin, daß hier zwei beinahe gleich große Konfessionen 
sich gegenüber stehen, — es wird oft gesagt in dem Verhältniß von zwei 
Fünftel zu drei Fünftel. — Noch schwerer beinahe ist es, daß die sich so ent- 
gegenstehenden Konfessionen in ihrem Rechte und in ihrer Befugniß sich 
selbstständig zu gestalten und zu verwalten, sich ertragen lernen, daß sie sich 
nicht gegenseitig Hindernisse bereiten, sondern sich gegenseitig berücksichtigen 
und von aller Anfechtuug ausschließen, was den Glauben angeht. Meine 
Herren, dieser Gegensatz besteht; ich brauche es ja nicht weiter auszuführen. 
Es ist etwas Allbekanntes, wo vom Glauben die Rede ist, da treten die 
Konfessionen einander gegenüber, und die heftigsten Kämpfe haben auf dem 
Gebiete des Glaubens stattgefunden; sie gehen aber auch bei uns bis in's 
Detail, bis in's Innerste und Einzelnste hinein. Ich will ein kleines Beispiel 
anführen, das wohl auf diesen Boden gehört — einzelnen der Herren wird es 
vielleicht schon bekannt sein.— Es war im Beginn der neuen Aera in Preußen. 
Waldeck war in Berlin zum Abgeordneten vorgeschlagen; als er als Kandidat 
auftrat, schien auch Alles für ihn zu sein; er hatte damals seine Märtyrer- 
probe schon lange hinter sich. In dem Augenblicke aber, wo es sich darum 
bandelte, die Mehrheit für ihn zu gewinnen, da trat ein Berliner Kind auf 
und sagte: den Waldeck können wir nicht wählen, er geht jeden Sonntag 
in die Messe. Meine Herren, ich habe einige Jahre nachher Waldeck auf- 
gesucht und da hat er mir diese Thatsache bestätigt; er ist nicht gewählt 
worden. (Stimmen links: er ist gewählt worden.) Ja, viel später, damals 
nicht; Sie werden mir das Beispiel gelten lassen müssen. (Widerspruch links.) 
Meine Herren (nach links), es steht Ihnen frei, mich später zu widerlegen. 
Ich kann Ihnen nur wiederholen: ich weiß diese Thatsache bestimmt, sie ist 
mir von Waldeck selbst bestätigt worden. Meine Herren, in dieser Weise ist 
der Gegensatz zwischen Katholiken und Protestanten in unserm Vaterlande 
speziell vorhanden, und zwar in unserem Lande mit viel größerer Bedeutung 
als in irgend einem anderen Lande, eben darum, weil sich die großen Massen 
des ganzen Reiches hier in verschiedenen Konfessionen gegenüber stehen. 
Meine Herren, es ist das nun die Grundlage, von der aus ich meine Kon- 
klusionen ziehe. In einer solchen Lage befindet sich kein Staat. Für uns 
aber ist diese Frage der Konfessions= und der Glaubensfreiheit eine Frage 
der inneren Einheit und eine Frage des Friedens innerhalb des Reiches, um 
auf Grund derselben den möglichst vollkommenen Ausbau zu vollziehen. Für 
meine Gesinnungsgenossen und mich ist es eine Frage von erster Bedeutung, 
weil wir die Absicht haben, mit Ihnen Hand in Hand dieses Reich zu einer 
gedeihlichen Entwickelung zu bringen, weil wir die Absicht haben, mit Ihnen 
dieses Reich, wie es nach außen das mächtigste ist, so auch nach innen zu 
einem Muster der Staaten Europas zu machen. Das kann aber nicht ge- 
schehen, so lange der Friede im Innern nicht gesichert ist, so lange wir durch 
eine Grenzlinie getrennt sind, welche das Gebiet der Koufessionen scheidet. 
Der Streit über die Konfessionen, ich sage es nochmals, muß aus der Welt
	        
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