Art. 2. Grundrechte. Stauffenberg. 681
nicht leugnen, Ihre Anträge selbst sind ein Symptom dieses Kampfes. Im
gegenwärtigen Augenblick vollzieht sich in der katholischen Kirche ein Schei-
dungsprozeß; wir wissen, meine Herren, nicht, wie er verlaufen wird, wir
stehen erst an dem Anfange einer Bewegung, welche nach meiner vollen
Ueberzeugung eben so eine weltgeschichtliche sein kann, wie es die Revo-
lution gewesen ist. (Brarol) Der richtige Mann ist noch nicht aufgestan-
den, allein, meine Herren, die Vorsehung wird ihn schicken, und der Vor-
aussetzungen seines Kommens sind übergenug vorhanden. Darf ich mich
auf eine Erklärung berufen, welche einer der größten katholischen Theologen
der Jetztzeit in den jüngsten Tagen veröffentlichte — sie ist zu Ihrer Aller
Kenntniß gekommen, und ich berufe mich nur in der Richtung darauf, daß
er in derselben ausdrücklich sagt, daß seine Meinung und Ueberzeugung von
einem großen Theile, von Hunderttausenden von katholischen Laien und von
vielen Priesterm getheilt wird, welche es nur im gegenwärtigen Augenblicke
nicht wagen, mit ihrer vollen Ueberzeugung hervorzutreten. (Hört! Hörtl)
Dieser Zwiespalt, meine Herren, ist cin so großer, daß es nicht unmöglich
ist, daß über kurz oder lang die Frage herantritt: welches ist die katho-
lische Kirche, für welche diese Grundrechte gemacht sind? (Große Unruhe.
Gelächter.) Meine Herren, ich hoffe, daß ich durch die rücksichtslose Aus-
sprechung dessen, was Ihnen jetzt außerordentlich lächerlich erscheint, Nieman-
den verletze, es liegt das ganz gewiß nicht in meiner Absicht, aber diese
Dinge müssen gesagt werden, sie dürfen nicht verschwiegen werden. Wollen
Sie nun, meine Herren, einen kleinen Beweis dieses Zwiespalts, — so liefern
Sie ihn selbst. Sie stellen uns Anträge, gegen welche in ihrem ersten Theile
ganz gewiß nichts zu erinnern ist, und welchen, wenn man sie blos vom
theoretischen Standpunkt betrachtet, jedermann ganz gern zustimmt. Sie
sagen in Ihrem Artikel 6, daß die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, die
Vereinigung zu Religionsgesellschaften und zu gemeinsamen häuslichen und
öffentlichen Religionsübungen gewährleistet wird, Sie verlangen Preß-
freiheit und alle diese Dinge in Ihren Grundrechten. Nun, meine Herren,
haben wir — es ist noch nicht sehr lange her — in einem Nachbarstaate
ein Beispiel gehabt, daß alle diese Dinge nicht blos verlangt worden sondern
der Gesetzgebung wirklich einverleibt worden sind; ich spreche von Oester-
reich. Das Staats-Grundgesetz vom 21. Dezember 1867 führt die Preß-
freiheit, führt die Vereinsfreiheit in einem vielleicht beschränkteren Umfange
ein, als Sie es hier gethan haben. Es sagt in seinem Artikel 15: „Jede
gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemein-
sauren öffentlichen Religionsübung.“ Es setzt also voraus, daß die Aner-
kennung einer Rel'gionsgesellschaft durch das Gesetz eigens erfolgen müsse,
während Sie jeder Religionsgesellschaft eo ipso schon das Recht der öffent-
lichen Religionsübung einräumen wollen. Und nun, meine Herren, ist cs
in unserer Aller Gedächtniß, daß dieser österreichischen Gesetzgebung gegenüber