1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 99
Otto I. ließ sich 962 zum Kaiser krönen. Seitdem gab die deutsche Königswürde den Anspruch
auf die Würde des römischen Kaisers.
Die universale Stellung, die der deutsche König durch die Kaiserwürde erlangte, führte
zu langwierigen Kämpfen mit der ultramontanen Hierarchie und zu einer endgültigen Schwächung
der königlichen Gewalt. Eine Reichspolitik, die sich grundsätzlich auf die Bischöfe stützte, ließ
sich nur durchführen, solange der König die Kirche beherrschte, insbesondere die Bischöfe er-
nannte. Die Herrschaft über den deutschen Episkopat war aber nur dann auf die Dauer ge-
sichert, wenn der deutsche König Italien in fester Hand und damit den Papst in Abhänigigkeit
hielt. Allein nachdem das Papsttum in die Hände einer von Heinrich III. geförderten kirch-
lichen Reformpartei gelangt war, die sich die Unabhängigkeit der Kirche von der weltlichen
Gewalt zum Ziele setzte, wurde der Papst aus einem Schützling zu einem Gegner des König-
tums. Gregor VII. eröffnete den Kampf durch das Verbot der Laieninnestitur. Den In-
vestiturstreit schlichtete zwar das Wormser Konkordat von 1122, aber ohne den Gegensatz zwischen
Kaisertum und Papsttum aus der Welt zu schaffen. Im Investiturstreit hatte sich das Papst-
tum zu einer dem deutschen Königtum ebenbürtigen Macht erhoben. Durch die Leitung der
Kreuzzüge erlangte es die politische Führung des Abendlandes. Damit war an sich der Anlaß
zu fortgesetzten Reibungen zwischen den beiden Gewalten gegeben. Die Zeit der Kämpfe
zwischen dem Kaisertum und dem Papsttum, das in den deutschen Fürsten Bundesgenossen
gewonnen hatte, fand ihren Abschluß mit dem Untergange der Staufer.
Die Früchte des Kampfes ernteten in Deutschland die deutschen Fürsten. Die Notwendig-
keit wiederholten Eingreifens in Italien, dessen Beherrschung den eigentlichen Zankapfel bildete,
hatte das deutsche Königtum von seinen heimischen Aufgaben abgezogen. Während es in der
Fremde seine Kraft verzehrte, büßte es die Grundlagen seiner Machtstellung in Deutschland
ein, wo inzwischen die höheren Reichsbeamten sich zu Landesherren ihrer Amtsbezirke auf-
schwangen. Nach dem Interregnum hat es das Königtum bereits verlernt, den Gedanken der
Reichseinheit in sich zu verkörpern. Da die Königswahlen seitdem von einem Geschlechte zum
anderen übersprangen, beuteten die deutschen Könige in dem Bewußtsein, daß die Krone ihrem
Hause nicht verbleiben werde, ihre Stellung zugunsten ihrer Hausmacht aus. So wirkte die
Zentralgewalt selbst für die Erhöhung der Territorialgewalten und gab das Beispiel partikula-
ristischen Strebens. Seit das Reich im Königtum keinen rechten Halt mehr fand, sahen sich
die Reichsstände im eigenen Interesse genötigt, das des Reiches wahrzunehmen, das allmählich
auf föderativer Grundlage umgebaut wurde und den Charakter einer Staatenrepublik annahm.
§ 24. Die Besitzverhältnisse. Zu dem wirtschaftlichen Gegensatz von großem, mittlerem
und kleinem Grundbesitz, wie ihn die fränkische Periode angebahnt hatte, traten zahlreiche Unter-
scheidungen in der rechtlichen Qualifikation des Besitzes. Der Zug der Zeit ging auf Verding-
lichung ihrer Natur nach nichtdinglicher Rechtsverhältnisse. Fast alle öffentlichen Rechte und
Pflichten wurden auf Grund und Boden radiziert. Das subjektive Recht wurde zur Gerecht-
same, die Verpflichtung wurde zur Last. Das öffentliche Recht hat darum in dieser Periode
ein wesentlich privatrechtliches, ein sachenrechtliches Gepräge.
Die Formen der Leiheverhältnisse, die in fränkischer Zeit entstanden waren, dehnten sich
aus. Neue gesellten sich hinzu. Der größere allodiale Grundbesitz wurde zum Lehen. Den
kleineren saugte die Grundherrschaft auf. Der freie Bauernstand nahm weiter ab. Schließlich
stand der größere Teil von Grund und Boden im Nexus der Leiheverhältnisse. Er war sozu-
sagen auf den Stufenbau der Lehnshierarchie gestellt, auf welchem der kleinere Besitz vom
größeren abhängig war. Nicht bloß der Mann, auch das Gut hatte seinen Heerschild. In Ge-
meinschaft mit ausgedehnten Hoheitsrechten bildete der Besitz, mit welchem das zum Lehen
gewordene Fürstenamt ausgestattet war, die reale Grundlage des Fürstentums. Als rechtlich
höher qualifizierte Besitztümer erscheinen ferner die Grundherrschaften mit mehr oder minder
ausgedehnter Gerichtsbarkeit über die Hintersassen sowie über die Güter, die zum Schöffen-
amte und zur Leistung des Reiterdienstes befähigten. Der kleinere Besitz war mit Abgaben
und Lasten beschwert. Auf der untersten Stufe standen die niederen Leiheverhältnisse aus dem
Gebiete des Hofrechtes.
In der Zeit vom 9. bis zum 13. Jahrhundert vollzog sich der Ausbau des Landes westlich
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