1/8 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Das Kaiserrecht nach der Handschrift von 1372, hrsg. von Endemann, 1846.
Der Richtsteig Landrechts nebst Cautela und Premis, hrsg. von C. G. Homeyer,
1857. Der Richtsteig Lehnrechts be: Homeyer, Sachsenspiegel II 1.
§ 29. Landes= und Landschaftsrechte. An die Bedeutung stammesrechtlicher Satzungen
reichen die friesischen Küren hinan, die zu den ältesten und altertümlichsten Quellen
dieser Periode zählen. Die friesischen Gaue zwischen Zuidersee und Weser, die unter ver-
schiedene Grafschaften aufgeteilt waren, schlossen zur Sicherung des Friedens nach außen und
im Inneren ein Bündnis ab, nicht um die gräfliche Gewalt zu beseitigen, sondern um sie zu
ergänzen, weil sie sich als ungenügend erwies und andererseits eine herzogliche Gewalt in Fries-
land fehlte, die jener Aufgabe hätte gerecht werden können. Die verbundenen Landschaften
hatten Vereinstage, die von geschworenen Bevollmächtigten (iurati, deputati) zu Upstalsbom
im Asterga nicht weit von Aurich abgehalten wurden. Zweck dieser Versammlungen war u. a.,
über das Recht zu beraten, das die Friesen halten sollten. Mit der Tätigkeit, welche die Upstals-
bomer Vereinstage für die Feststellung und Besserung des friesischen Rechtes entfalteten, hängt
ein Teil der älteren gemeinfriesischen Rechtsquellen zusammen. Zu ihnen gehören: 1. die
17 Küren (kesta, petitiones, electiones), eine Zusammenstellung von Rechtssätzen, die angeblich
Karl der Große den Friesen auf deren Verlangen zugesichert habe; 2. die 24 Landrechte (lond-
riuchta, constitutiones), Weistümer über das bei den Friesen geltende Recht, zum Teil inhaltlich
mit den 17 Küren übereinstimmend; 3. die 7 Überküren (urkera), von welchen die drei ersteren
die Verfassung des Bundes betreffen; 4. die allgemeinen Bußtaxen, ein Katalog von Bußen,
namentlich von Wundbußen. Die aufgezählten Rechtsquellen sind uns sämtlich in friesischer
Sprache, mit Ausnahme der Uberküren in einem lateinischen Texte und mit Ausnahme der
Bußtaxen in jüngeren Texten niederdeutscher Mundart, erhalten. Die Entstehungszeit der
älteren gemeinfriesischen Quellen ist streitig und unsicher. Küren, Landrechte und Uberküren
enthalten Rechtssätze, deren Ursprung eine Zeit voraussetzt, in der die friesischen Küsten von
heidnischen Nordmännern heimgesucht wurden. Das weist auf das 11. Jahrhundert als Ent-
stehungszeit dieser Rechtssätze zurlick. Die Aufzeichnung ist noch vor Anfang des 13. Jahr-
hunderts erfolgt.
Der Upstalsbomer Verein zerfiel nach 1231, wurde aber 1323 mit etwas veränderter
Tendenz erneuert. Während der ältere Friedensbund das Verhältnis der einzelnen Land-
schaften zu den Grafen nicht berührte, kehrt das Bündnis von 1323, dessen Statut den Namen
leges Upstalsbomicae führt, seine Spitze gegen den Grafen von Holland, den Landesherrn
der Westergoer, von denen der Anstoß zur Erneuerung des Bundes ausgegangen war. Der
neue Bund löste sich nach vier Jahren wieder auf. Ein 1361 zu Groningen abgefaßtes Statut
verdankt seine Entstehung dem Versuch der Stadt Groningen (die sich mit Hilfe friesischer Land-
distrikte der Landeshoheit der Bischöfe von Utrecht entziehen wollte), unter ihrer Leitung den
Bund der friesischen Gaue zu erneuern.
Neben den gemeinfriesischen Quellen besitzen wir besondere Satzungen und Aufzeichnungen
für das Recht einzelner Gaue und Landschaften, so das westerlauwersche Schulzenrecht, die
Hunsingoer Küren von 1252, die Rüstringer Satzungen (12. und 13. Jahrhundert) und den
umfangreichen Brokmerbrief aus der Zeit von 1276—1345.
Ergebnisse autonomer Rechtsbildung sind die Beliebungen der Nordfriesen aus dem
15. Jahrhundert, das Dietmarscher Landrecht, das zuerst 1448 auf einen Landesbeschluß hin
aufgezeichnet und bis 1467 durch Novellen ergänzt wurde, und die Statuten oder Landbücher
einzelner Landschaften der Schweiz.
In den Territorien, in welchen die Landeshoheit zur Ausbildung gelangte, übten die
Fürsten das Recht, Privilegien und Freibriefe zu erteilen, territoriale Landfrieden aufzurichten
und mit Zustimmung der Großen des Landes allgemein bindende Normen zu erlassen. Solche
durch Satzung entstandene Landesordnungen sind die Kulmsche Handfeste des Großmeisters
Hermann von Salza aus dem Jahre 1233 für das deutsche Ordensland, die salzburgische Landes-
ordnung von 1328, das oberbayrische Landrecht Kaiser Ludwigs von 1336, revidiert und ver-
mehrt 1346, das für das Fürstentum Breslau ausgearbeitete Landrecht von 1356, eine offizielle
Bearbeitung des Sachsenspiegels.