1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 109
Als eine bloße Aufzeichnung des geltenden Rechtes erscheint die ältere Fassung des öster-
reichischen Landesrechtes, die im Winter 1236/37 verfaßt wurde, um die in der Zeit Herzog
Leopolds VI. bestehenden Rechtszustände festzustellen und dafür die Bestätigung Kaiser
Friedrichs II. zu erwirken, wogegen die jüngere Fassung vermutlich eine im Jahre 1266 auf
Grund der älteren ausgearbeitete Satzung des Königs Ottokar von Böhmen, des damaligen
Herrn von Osterreich, ist. Aufzeichnungen von Landesrechten sind das Ritter- und Landrecht
der Grafschaft Berg aus den Jahren 1355—1397 und ein steirisches Landesrecht aus der Mitte
des 14. Jahrhunderts, das auch in Kärnten rezipiert wurde.
Friesische Rechtsquellen, hrsg. von K. v. Richthofen, 1840. Dazu ein altfriesisches
Wörterbuch von demselben, 1840. Oude friesche Wetten, hrsg. von De Haan Hettema,
1846/47. Die Überküren und die lateinischen Texte des Vetus ius Frisicum und die Leges Upstals-
bomicae in besserer Form bei v. Richthofen, Untersuchungen über friesische Rechtsgeschichte I
1880, nebst Erörterungen über ihren Charakter und ihre Entstehungszeit. Die niederdeutschen
Rechtsquellen Ostfrieslands, hrsg. von Borchling Il 1908. Die nordfriesischen Quellen stehen
bei v. Richthofen, friesische Rechtsquellen S. 561. Das dietmarscher Landrecht bei
Michelsen, Sammlung altdithmarscher Rechtsquellen, 1842. Die Kulmsche Handfeste
bei Leman, Das alte Kulmische Recht, 1838. Die Salzburgische Landesordnung
bei Rößler, über die Bedeutung und Behandlung der Geschichte des Rechts in Österreich, 1847.
Kaiser Ludwigs erstes sberbayrisches Land= und Lehnrecht, hrsg. v. Rockinger
1908. Bayrisches Landesrecht bei Freyberg, Sammlung historischer Schriften und Urkunden
1827 ff. IV 381. — Osterreichisches Landesrecht bei Viktor Hasenöhrl, Oster-
reichisches Landesrecht im 13. u. 14. Jahrh., 1867, und bei v. Schwind und Dopsch, Aus-
gewählte Urkunden zur Verfassungsgeschichte der deutsch-österr. Erblande, 1895, S. 55 ff., 101 ff. —
Steiermärkisches Landrecht des Mittelalters, hrsg. v. F. Bischoff, 1875. — Das
½½ e Landesrecht bei Lacomblet, Archiv für Geschichte des Niederrheins, 1832,
I. 79 ff.
§ 30. Dienst= und Hofrechte. Das Dienstrecht gestaltete sich an den Höfen der ver-
schiedenen Dienstherren in großer Mannigfaltigkeit, weil der Ministerialität die einheitliche
Spitze fehlte, wie sie das Lehnwesen im Königtum besaß. Zuerst empfand man an den geist-
lichen Stiftern, wo die Ministerialen am frühesten zu hervorragender Stellung gelangten, das
Bedürfnis, deren Rechte und Pflichten aufzuzeichnen. Die ältesten Dienstrechte behandeln
die Dienstmannen noch als eine besondere Gruppe der ganzen grundherrlichen Gemeinde, der
„Familie“ der Kirche, während die jüngeren das Recht der Ministerialen als das eines besonderen
Standes normieren.
Von den Auszeichnungen der Dienstrechte kleiden sich manche in die Form der Satzung.
Im Laufe des 12. Jahrhunderts versuchte man nämlich in geistlichen Stiftern, namentlich in
Reichsabteien, die Pflichten und Rechte der Ministerialen, die den Kirchen über den Kopf zu
wachsen drohten, mit Hilfe von Urkundenfälschungen festzustellen. Ein hervorragendes Beispiel
bietet die um 1150 in Reichenau entstandene Constitutio de expeditione Romana, ein auf den
Namen Karls des Großen gefälschtes Dienstmannenrecht. Aufzeichnungen von Dienstrechten,
welche den Weg der Fälschung verschmähten, sind die von Bamberg (11. Jahrhundert), von
Köln (1154—1176), von Basel (in deutscher Sprache aus der zweiten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts), von Magdeburg und Hildesheim (beide aus dem 13. Jahrhundert).
Die Hofrechte haben sich weitaus zum größten Teile als Gewohnheitsrecht entwickelt
und fortgebildet. Satzungen des Hofrechtes sind selten. Eine der ältesten und bedeutsamsten
ist die Lex familiae Wormatiensis ecclesiae, eine Satzung des Bischofs Burchard von Worms
aus den Jahren 1023—1025, veranlaßt durch das Bestreben, die Grundholden der Kirche gegen
Bedrückungen von Seite der Vögte, der vicedomini und der Ministerialen zu schützen. Die
Mehrzahl der schriftlichen Hofrechte geht auf Weistümer zurück. In den grundherrlichen Ge-
meinden wurde es nämlich Sitte, daß alljährlich an bestimmten Tagen auf Grund einer amt-
lichen inquisitio das geltende Recht gewiesen wurde. Der herrschaftliche Beamte, der Vogt
oder Meier fragte im Ding, was in einem bestimmten Falle Rechtens sei. Beeidigte Hof-
genossen gaben die Antwort. Im Wechsel von Frage und Antwort wurde der Stoff des Ge-
wohnheitsrechtes mehr oder minder erschöpft. Markgenossenschaften und freie Bauerschaften
ahmten diese Sitte ständiger Rechtsvorträge nach. Im Laufe der Zeit wurden aus bestimmten
Veranlassungen oder in der allgemeinen Erwägung, daß die Schrift doch noch dauerhafter sei