Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

114 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
keiten Philipps und Friedrichs II. mit Otto IV. hatte die Frage der ordnungsmäßigen Krönung 
eine erhebliche Rolle gespielt. So konnte es geschehen, daß die rechtliche Teilnahme an der 
Krönungshandlung, die eine ausdrückliche Anerkennung des Königs in sich schloß, zur Ent- 
stehung einer Wahltheorie führte, die vom Verfasser des Sachsenspiegels ausgenommen und 
zuerst formuliert, durch den Einfluß des Rechtsbuches, und weil sie dem unbestreitbaren Be- 
dürfnis fester Normierung der Königswahl entsprach, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts 
zur Geltung gelangte. Laut dem Sachsenspiegel sind aber die ersten an der Kur die Erzbischöfe 
von Mainz, Trier und Köln, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen und der Mark- 
graf von Brandenburg. Nach ihnen küren die übrigen Fürsten. Jene sechs sollen ihren Kür- 
spruch nur für denjenigen abgeben, den die Gesamtheit der Fürsten in einer Vorwahl zum König 
„irwelt“. 
Die Wahlpraxis änderte die Lehre des Sachsenspiegels dahin ab, daß die ersten an der 
Kur die ausschließlichen Wähler wurden und die Beteiligung der übrigen Fürsten hinwegfiel. 
Die Erzämtertheorie, d. h. die Theorie, daß das Erzamt die Grundlage des Wahlrechtes bildet, 
wurde dahin ausgebaut, daß man das Kurrecht der Erzbischöfe durch deren Erzkanzlerämter 
motivierte, und daß man die Zahl der Kurfürsten auf sieben erhöhte. Und zwar wurde die 
siebente Kurstimme, nachdem vorübergehend der Herzog von Bayern zur Wahl zugelassen 
worden war, endgültig dem Schenken des Reichs, dem König von Böhmen, zugesprochen. 
Was die Wahlform betrifft, so trat im Anschluß an die kirchlichen Wahlgebräuche seit 1257 die 
Neuerung ein, daß die Kurfürsten einen aus ihrer Mitte bevollmächtigten, im Namen aller den 
Kurspruch abzugeben. Das geschah mindestens bis 1314, vielleicht bis zur goldenen Bulle. Im 
Gegensatz zum älteren Rechte gelangte unter dem Einfluß der romanistisch-kanonistischen Kor- 
porationslehre während der Kämpfe Ludwigs des Bayern mit dem Papste das Mehrheits- 
prinzip zur Anerkennung. Zuerst sprach es 1338 der Kurverein von Rense aus. Die goldene 
Bulle von 13506 stellte es reichsgrundgesetzlich fest und brachte außerdem eine eingehende Regelung 
des Wahlverfahrens und des Wahlrechtes. Sie bestimmte, daß der Erzbischof von Mainz die 
Kurfürsten der Reihe nach um ihre Stimmen befragen und schließlich selbst küren solle, daß die 
Kurwürden auf den Kurlanden haften, diese unteilbar seien und in den weltlichen Territorien 
nach dem Rechte der Erstgeburt vererben. 
Seit Otto I. empfing der neue König die Salbung und Krönung, die von da ab staats- 
rechtliche Bedeutung erlangten. Sie fanden regelmäßig zu Aachen statt. Mit der heiligen 
Handlung war die Ubergabe der Reichsinsignien und die Erhebung auf den Stuhl Karls des 
Großen verbunden. Konsekration und Krönung war anfänglich ein Recht des Erzbischofs von 
Mainz, dann erlangte es der von Köln. Doch erhob auch der Trierer einen Anspruch auf Mit- 
wirkung. Der Krönung folgte das Krönungsmahl, bei dem die Inhaber der Erzämter ihre 
Funktionen versahen. Seit Rudolf I. büßte die Krönung ihre staatsrechtliche Bedeutung ein. 
Er datierte seine Regierung schon von der Wahl ab. Unter seinen Nachfolgern schwankte die 
Praxis. Seit Karl IV. ist nur noch die Wahl für die Datierung maßgebend. Nach der goldenen 
Bulle sollte der Gewählte sich der Regierungshandlungen enthalten, solange er nicht die Privi- 
legien und Rechte der Kurfürsten bestätigt hat. 
Die Königswürde gab den Anspruch auf die Kaiserwürde. Diese erwarb der deutsche 
König erst durch die Kaiserkrönung, die vom Papste vollzogen wurde. Erst von da ab hatte er 
den kaiserlichen Titel und die kaiserliche Gewalt. Allerdings bestimmte die Constitutio Licet 
juris von 1338, daß schon die Königswahl die Kaiserwürde gewähre. Allein praktisch ist dies 
im Mittelalter nicht geworden. Nach der goldenen Bulle wurde der König wie früher gewählt 
als rex in imperatorem promovendus, womit jener Satz von 1338 reichsgrundgesetzlich ver- 
neint und zugleich der Anspruch des deutschen Königs auf die Kaiserkrone aufrecht 
erhalten wurde. 
§ 34. Die königliche Gewalt. Der deutsche König hatte zunächst den Titel rex; seit 
Heinrich III. wurde Romanorum rex gebräuchlich; nach der Kaiserkrönung hieß er imperator, 
seit Otto III. Romanorum imperator augustus. 
Der König lebte nach fränkischem Rechte. Sein Gerichtsstand war in weltlichen Sachen 
der Pfalzgraf bei Rhein, in geistlichen der Papst. Die Absetzung Heinrichs IV. schuf ein Prä-
	        
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