120 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
mit dem des Centenars verschmolz, häufig zum Unterrichter geworden. Eine höhere Stellung
nahm er bei den ostfälischen Sachsen ein, wo ihm die Vertretung des Grafen und der Mitvorsitz
vor Gericht gebührte, während als Vollzugsorgan der vom Grafen eingesetzte Fronbote fungierte.
Die fränkische Schöffenverfassung ist nicht überall durchgedrungen oder in Bestand geblieben.
Bei den Friesen erhielten sich als ständige Urteilfinder die ihnen eigentümlichen Asegen. In
Bayern berief der Richter zur Findung des Urteils eine Anzahl von Beisitzern aus den Ding-
genossen, die sogenannten Vorsprecher des Rechtes.
Die karolingische Einrichtung der königlichen Missi hat sich in den deutschen Stammlanden
nicht erhalten. Doch schob sich um die Wende des 9. Jahrhunderts zwischen das Königtum
und die gräfliche Gewalt eine neue politische Macht ein, das Stammesherzogtum. Der Stammes-
herzog hatte die Führung der militärischen Kräfte des Stammes, er übte für den Umfang seines
Herzogtums eine übergeordnete Gerichtsbarkeit aus, hielt Hoftage ab, auf welchen die ihm
untergebenen Grafen, in Bayern auch Bischöfe und Markgrafen, zu erscheinen hatten. Um
der herzoglichen Gewalt ein Gegengewicht zu schaffen, schritt das Königtum seit Otto I. zur
Bestellung von Stammespfalzgrafen, deren Amt an das der ständigen missi regis Italiens an-
knüpft. Der Pfalzgraf hatte in Vertretung des Königs dessen Rechte innerhalb des Stammes-
gebietes wahrzunehmen, insbesondere oblag ihm die Aussicht über die königlichen Güter und
Einkünfte. Im Kampfe gegen das widerspenstige Stammesherzogtum fand der deutsche König
einen Bundesgenossen an den Fürsten, die dem Herzog untergeordnet waren. Dem doppelten
Drucke von oben und von unten vermochte es auf die Dauer nicht zu widerstehen. Mit dem
Sturze Heinrichs des Löwen ist die Zertrümmerung des Stammesherzogtums entschieden.
Die Landfriedensvereinigungen führten zur Ausbildung kommissarischer Landfriedens-
gerichte für bestimmte Bezirke. Auf den Vorsitz in solchen Gerichten scheint die hervorragende
Stellung des Landgrafen von Thüringen zurückzugehen, während im übrigen der Titel Land-
graf solchen Grafen zuteil wurde, die nach Auflösung der Gauverfassung die höhere Gerichts-
barkeit und gewisse andere gräfliche Rechte im Umfang des alten Amtsbezirkes behauptet hatten.
Eine selbständigere Stellung und eine straffere Gewalt als die übrigen Grafen besaßen
die Markgrafen. Sie übten die höhere Gerichtsbarkeit persönlich oder durch stellvertretende
Beamte aus, ohne daß für diese das Erfordernis der königlichen Bannleihe bestand. Sie dingten,
wie der Sachsenspiegel sagt, bei eigenen Hulden.
Uber größere Komplexe von Krongütern und über königliche Abteien waren Reichsvögte
gesetzt als Verwaltungsbeamte und zur Handhabung der gräflichen Gerichtsbarkeit.
§ 39. Die Landeshoheit. Eine vollständige Anderung seiner staatsrechtlichen Grund-
lagen erlitt das Reich durch die Ausbildung der Landesherrlichkeit oder Landeshoheit. Die
wesentlichen Ursachen dieses Prozesses, der in der gräflichen Gewalt seinen eigentlichen Aus-
gangspunkt hat, sind in kurzem folgende. Die gleichmäßige Einteilung des Reichs in Graf-
schaftsgaue verschwand (sogenannte Gauauflösung). Die zahlreich emporschießenden Im-
munitäten zerschnitten oder durchlöcherten die gräflichen Amtssprengel. Grasschaftsgaue
spalteten sich in mehrere Grafschaften. Andererseits wurden mitunter mehrere Grasschaften
in einer Hand vereinigt und mit der gräflichen Gewalt nicht selten Immunitätsrechte verbunden.
Gräfliche Rechte wurden geistlichen Stiftern oder weltlichen Herren, ganze Grafschaften größeren
Kirchen übertragen. Am schwersten fällt die Umwandlung der Amter in erbliche Lehen ins
Gewicht; sie gestaltete, da der Inhaber des Amtes die öffentlichen Rechte zwar im Namen des
Königs, aber zu eigenem Nutzen ausübte, die Amtsbefugnisse zum nutzbaren Rechte.
Al das Stammesherzogtum fiel, erntete nicht das Königtum, sondern die fürstliche Gewalk-
die Früchte des Sieges. Seit dieser Zeit findet sich auch zuerst in Urkunden der Ausdruck dominus
terrae. Wesentlichen Vorschub erhielt das Aufkeimen der Landesherrlichkeit durch die auf
Italien gerichtete Politik der deutschen Könige. Um hier augenblickliche Erfolge zu erringen,
fanden sich die Könige mit den Fürsten ab, so gut es eben ging. Dagegen wurde die einzige
Macht, die der fürstlichen noch ein Gegengewicht bieten konnte, das deutsche Städtewesen, in
einer Entwicklung gehemmt. Dieser Politik verdanken namentlich zwei Reichsgesetze des
13. Jahrhunderts ihre Entstehung, das Privilegium für die geistlichen Fürsten von 1220 und
das Statutum in favorem principum von 1231—32, in welchen der König zugunsten der Fürsten