1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 121
auf wichtige Rechte verzichtet, deren sich diese freilich zum Teil schon tatsächlich bemächtigt hatten,
während zugleich zum Vorteil der Landesherren eine Reihe städtefeindlicher Bestimmungen
erlassen wird.
Die hiermit reichsgesetzlich sanktionierte Landesherrlichkeit wucherte dann rasch empor,
während des Interregnums infolge des Mangels, darnach infolge der Schwäche der königlichen
Gewalt. War sie früher unter dem Schutze des Lehnwesens gewachsen, so trat sie nunmehr
in ein zweites Stadium der Entwicklung, in dem sie die Schranken des Lehnrechts durchbrach.
Das Erfordernis der Bannleihe für die höheren Richter der Territorien fiel hinweg. Nachdem
die Umwandlung der Amter in Lehen als wichtigster Hebel für die Ausbildung der Landes-
herrlichkeit gedient hatte, verstand es diese, innerhalb der Territorien mit dem Lehnwesen zu
brechen. Nach dem Reichslehnrechte war der Inhaber eines Gerichtslehens verpflichtet, die
darin enthaltenen Afterlehen weiter zu verleihen. Diesen Rechtssatz setzten die Landesherren
nach dem Wegfall der Bannleihe außer Kraft, indem sie die Gerichte ihrer Territorien nicht
mehr zu Lehen gaben, sondern besoldete Landrichter, Vögte oder Amtleute bestellten, somit
die Lehen in Amter im eigentlichen Sinne des Wortes verwandelten. Also haben, während
der König bei Erledigung von Fürstenämtern nach wie vor an den Leihezwang gebunden blieb,
die Fürsten ihrerseits den sie beschränkenden Leihezwang beseitigt. Neue Errungenschaften
machte die Landesherrlichkeit vorerst für die kurfürstlichen Territorien durch die goldene Bulle
von 13566. Münzrecht, Bergregal, Recht auf Zölle und Judenschutz wurden darin den Kur-
fürsten ausdrücklich zugesprochen. Sie erlangten ferner die Privilegien de non evocando und
de non appellande. Endlich wurde die Unteilbarkeit der Kurlande und die Primogeniturfolge
festgestellt. Das den Kurfürsten gewährte Maß von Unabhängigkeit steckten sich auch die übrigen
Landesherren, zum Teil in rücksichtslosester Weise, zum Ziel. Im 15. Jahrhundert wurde das
jus evocandi des Reichshofgerichtes bereits grundsätzlich bestritten und 1487 dem damaligen
königlichen Kammergerichte schlechtweg versagt.
Wie nach oben hin schloß sich die Landesherrlichkeit auch nach unten hin ab. Der Komplex
ihrer herzoglichen, gräflichen, lehnsherrlichen, immunitäts-, grund- oder dienstherrlichen und
vogteilichen Rechte und der auf sie übergegangenen königlichen Regalien bildete sich zum all-
gemeinen Begriffe der Staatsgewalt aus. Indem man die einzelnen Rechte nicht mehr ihrem
historischen Ursprunge nach unterschied, erschienen sie als Konsequenz einer ihrem Wesen nach
einheitlichen obrigkeitlichen Gewalt über das ganze Land.
Die Nachfolge in die weltlichen Territorien gestaltete sich zunächst nach den Grundsätzen
des Lehnrechtes als Individualsuccession. Als die Landesherren sich über die Schranken des
Lehnrechtes hinwegsetzten, betrachteten sie es vorerst als eine Errungenschaft, das Land wie
Eigengut unter gleich nahe Erben zu teilen. Allein die Erfahrung, daß die Teilungen das Haus-
interesse schädigten und die fürstliche Macht zu pulverisieren drohten, erweckte in zahlreichen
Territorien das Bestreben, deren staatsrechtliche Unteilbarkeit durch Hausgesetze, Familienverträge
oder kaiserliche Privilegien festzustellen und nach dem Vorbilde der weltlichen Kurlande die
Primogeniturfolge einzuführen.
Das Amterwesen war in den einzelnen Territorien ein verschiedenartiges. Als Organe
der Zentralverwaltung begegnen in der Regel der Hofmeister, gewissermaßen eine verkleinerte
Auflage des fränkischen Hausmeiers, ferner der Kanzler, von den Inhabern der Hausämter
der Marschall und der Kämmerer, die beide von Beamten der Hofverwaltung zu Beamten der
Landesverwaltung emporwuchsen. Außerdem gab es Hofleute, die dem Landesherrn im Be-
dürfnisfall zum Beirate verpflichtet waren. Seit dem 14. Jahrhundert wurden daraus in ein-
zelnen Territorien landesherrliche Ratskollegien mit dem Charakter kommissarischer Behörden.
An der Spitze der territorialen Verwaltungsbezirke standen als landesherrliche Beamte Land-
richter, Vögte, Amtmänner oder Pfleger. Dabei blieben Verwaltung und Rechtspflege regel-
mäßig in derselben Hand. Doch schieden sie sich in einem Teile des Reiches, so namentlich in
Westdeutschland und in Bayem, indem zur Handhabung der Rechtspflege dem Verwaltungs-
beamten, dem Amtmann oder Pfleger ein beamteter Richter unterstellt wurde.
In der Gerichtsverfassung trat etwa seit dem 13. Jahrhundert insofern eine grundsätzliche
Wandlung ein, als die Zuständigkeit der gräflichen Gerichte (Landgerichte), im Gegensatz zu
den Niedergerichten, nicht mehr durch den Begriff der causae maiores (Blut, Freiheit, Eigen),