124 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
wie Freiburg im Breisgau, Wien und ursprünglich auch Lübeck. Die Städte, die Sitze von
Bistümern oder von größeren Abteien waren, sind den übrigen in der ersten Phase der städtischen
Entwicklung vorangeeilt. Die Politik der deutschen Könige, welche die hohe Prälatur zur Haupt-
stlite der Reichsgewalt machte, gab ihnen erhöhte Bedeutung.
Selbständiger Gerichtsbezirk wurde die Stadt kraft der durch die Marktgerichtsbarkeit
gesteigerten Immunität, die dem zum Stadtherrn gewordenen Grundherrn entweder von
vornherein zustand oder mit der Verleihung des Marktrechts gewährt wurde. Das Stadtgericht
war nicht nur in Zivilsachen und mindestens in niederen Strafsachen der Bürger, sondern zur
Marktzeit auch für alle Marktbesucher und in allen Marktfreveln zuständig. Als Richter fungierte
ein vom Stadtherrn eingesetzter Verwaltungsbeamter, der Schultheiß, iudex oder Stadtrichter.
Die höhere Gerichtsbarkeit stand zwar an sich nach wie vor dem Grafen zu. Allein in den bischöf-
lichen Städten hatte der Bischof regelmäßig die gräflichen Rechte, die er durch seinen Vogt,
in größeren Städten wohl auch durch einen in der Stadt wohnenden Burggrafen ausüben ließ,
während sie in den königlichen Städten durch Reichsvögte verwaltet wurden.
Die Städte waren regelmäßig befestigte Orte. Burg war die aälteste deutsche Bezeichnung
der Stadt. Doch gab es einerseits Burgen, die nur Kastelle, nicht Städte waren, und einzelne
Städte, die offene Vororte von Burgen bildeten. Im 13. Jahrhundert begann man die Um-
mauerung als rechtliches Erfordernis der Städte anzusehen.
Seit dem 12. Jahrhundert wurden aus wirtschaftlichen und politischen Gründen Städte
„aus wilder Wurzel“ gegründet und Dörfer oder stadtähnliche Anlagen zu Städten erhoben,
indem man die typisch gewordene Städteverfassung auf sie übertrug.
In der ersten Phase seiner Entwicklung entfaltete sich das Städtewesen unter dem Schutze
der Stadtherrschaft. Seit dem Ausgang des 12. Jahrhunderts beginnt eine zweite Periode
der städtischen Verfassungsgeschichte, die Periode, in der die Städte auf Kosten und zum Teil
gegen den Willen des Stadtherrn ein mehr oder minder ausgedehntes Recht der Selbstverwaltung
gewinnen. Als Organ der aufstrebenden Bürgerschaft erscheint allenthalben der Stadtrat,
dessen Entstehungsgeschichte streitig ist. Er scheint in den einzelnen Städten auf verschieden-
artigen Grundlagen erwachsen zu sein. Zu Anfang des 13. Jahrhunderts entspannen sich um
des Stadtrats willen, namentlich in den bischöflichen Städten, heftige Kämpfe zwischen dem
Stadtherrn und der Bürgerschaft. Abgesehen von den landesherrlichen Städten, in denen der
Landesherr nicht selten die Ernennung oder doch die Bestätigung der Stadträte geltend machte,
war der Ausgang der kommunalen Bewegungen der, daß die Bürgerschaft sich von der Stadt-
herrschaft im wesentlichen befreite, während die Ratmannen, den Bürgermeister an der Spitze,
sich als Vertreter der Bürgerschaft zur eigentlichen Stadtobrigkeit ausschwangen. Besteuerungs-
recht, Gerichtsbarkeit, Zoll und Münze und die übrigen Hoheitsrechte des Stadtherrn fielen
der Reihe nach an die Stadt; die von jenem eingesetzten Magistrate wurden beseitigt und durch
die Organe der Bürgerschaft ersetzt, welche ihre Befugnisse nicht als subjektives Privatrecht,
sondern kraft ihres Amtes im Namen der Stadtgemeinde verwalteten. Die Städte dehnten
ihre Gewalt über das eigentliche Weichbild aus, indem sie außerhalb der Stadt wohnende Per-
sonen in den Bürgerverband aufnahmen. Die wachsende Macht der Städte weckte den Wider-
stand der Fürsten, unter deren Druck das auf ihre Hilfe angewiesene Königtum zeitweise sich
zu städtefeindlichen Gesetzen herbeiließ; doch wurden sie durch Verwaltungsmaßregeln zugunsten
der Städte teilweise ausfgewogen und vermochten die Entwicklung des Städtewesens nicht mehr
rückgängig zu machen. Denn die politische Bedeutung der Städte beruhte im Verhältnis zu
den Landesherren hauptsächlich auf ihrem finanziellen Übergewicht, das durch die Reichsgesetz-
gebung nicht betroffen wurde. Die Städte waren die Geldmächte jener Zeit, eine Tatsache,
die sich aus der Ausbildung der Geldwirtschaft, aus dem Vorhandensein eines zahlreichen leistungs-
fähigen Mittelstandes und aus dem städtischen Steuerwesen erklärt. Dieses beruhte zum Teil
auf indirekten Abgaben, auf dem sogenannten Ungeld. Daneben kannte man die direkte Be-
steuerung, Schatzung; doch trat diese in manchen Städten nur ausnahmsweise ein. Seit dem
14. Jahrhundert begannen die Städte im Wege der Leibrentenverkäufe und anderer Kredit-
geschäfte städtische Anlehen aufzunehmen. Für den wirtschaftlichen Aufschwung zahlreicher
Städte fällt auch der Erwerb des Stapelrechts ins Gewicht.