1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 131
deutung der Gewere im Sachenrecht, der Hausgemeinschaft im Familien- und Erbrecht, daher
zum Teile der tiefgreifende Unterschied zwischen Fahrnis= und Liegenschaftsrecht.
Die Fortbildung des Privatrechtes beruht darin, daß die typische Ausprägung der Rechts-
sätze abgeschwächt oder abgestreift wird und neben der Form der rechtsgeschäftliche Wille zu
größerer Berücksichtigung gelangt. Dabei machte sich nicht selten eine Spaltung zwischen der
inneren und der äußeren Seite der Rechtsverhältnisse geltend, indem im Interesse des Rechts-
verkehrs zugunsten Dritter an der typischen Ausprägung mehr oder minder festgehalten wurde,
ein Gegensatz, der bislang hauptsächlich für einzelne Institute des modernen Handelsrechtes
hervorgehoben zu werden pflegte, aber auch das sonstige deutsche Privatrecht in den verschiedenen
Stadien seiner Entwicklung durchdringt.
Auch die Gestaltung des Privatrechtes war in den verschiedenen Rechten eine sehr mannig-
faltige. Doch dürften immerhin die Grundlagen der bedeutsamsten Rechtsinstitute als Gemeingut
des ganzen Volkes angesehen werden.
I. Die Rechtsfähigkeit.
§ 45. Grundlagen der vollen Rechtsfähigkeit waren die Freiheit, die Volksgenossenschaft,
die Friedensgemeinschaft, der volle Genuß der Ehre und die Standesgleichheit (Ebenbürtigkeit).
Das freigeborene Kind trat in ältester Zeit nicht sofort mit der Geburt in die volle Rechts-
fähigkeit ein, sondern erst mit der Namengebung, die binnen neun Nächten zu erfolgen pflegte
und schon in heidnischer Zeit mit Wassertauche oder Wasserbegießung verbunden war. Bis
dahin mochte der Vater dem neugeborenen Kinde die Aufnahme in sein Haus verweigern und
es aussetzen lassen. An den Akt der Namengebung war ursprünglich auch der Eintritt in das
volle Wergeld und die durch die Hausgemeinschaft bedingte Erbfähigkeit geknüpft. 95
Auf daß ein Kind für lebendig geboren gelte, forderte das ältere Recht gewisse typische
Lebenszeichen. Da der Beweis durch das Zeugnis von Männern erbracht werden mußte und
diese aus Schicklichkeitsgründen nicht Augenzeugen des Geburtsaktes sein konnten, bedurfte
es nach zahlreichen, insbesondere nach niederdeutschen Rechten des Ohrenzeugnisses, daß das
Kind die vier Wände des Hauses beschrien habe, während oberdeutsche Rechte den Beweis ver-
langten, daß es das Dach des Hauses und die vier Wände erblickt habe. Jüngere Quellen ge-
statten oder verlangen den Beweis der lebendigen Geburt durch das Zeugnis von Frauen, die
dabei zugegen waren.
Der Freiheit darbten die Knechte und die Halbfreien (Hörigen). Die Knechte, ursprünglich
völlig rechtlos, erlangten im Laufe der Zeit eine Schritt für Schritt sich ausdehnende beschränkte
Rechtsfähigkeit. Ebenso erfuhr der Umfang der Knechtschaft eine weitgehende Einschränkung.
Sie verschwand in den Städten gemäß dem Satze: Luft macht frei. Ministerialen und unfreie
Ritter traten in den Stand der Freien über. Die angesiedelten Knechte, die mansionarü, wurden
den Liten gleichgestellt.
In der Entwicklung der Rechtsfähigkeit der Knechte sind die innere und die äußere Seite
der Knechtschaft, nämlich das Verhältnis zum Herrn und das zu Dritten, auseinanderzuhalten.
Die Kirche verbat die willkürliche Tötung und Verletzung der Knechte, befreite sie vom Knechts-
dienst an Sonn- und Feiertagen und setzte die Anerkennung ihrer Ehen durch, anfangs für den
Fall der Zustimmung des Herrn, später auch ohne diese Voraussetzung. Teilweise griff die
Staatsgewalt mildernd ein, die schon in fränkischer Zeit den Verkauf von Knechten ins Aus-
land verbot. Was der Knecht erwarb, gehörte der Theorie nach dem Herrn, jener durfte es
nicht veräußern und es fiel bei kinderlosem Absterben an den Herrn. Dritten gegenüber haftete
der Herr ursprünglich für die Missetat des Knechtes wie für die eigene, doch wurde diese Haftung
schon in der Zeit der Volksrechte auf den Fall der Mitwissenschaft des Herrn beschränkt, während
sie im übrigen, wenn er den schuldigen Knecht preisgab oder auslieferte, zu einer Haftung für
Ungefährwerk einschrumpfte und schließlich völlig verschwand.
Von den Entstehungsgründen der Knechtschaft waren die vornehmsten: Kriegsgefangen-
schaft, Abstammung von leibeigenen Eltern oder auch nur von einem leibeigenen Elternteil,
Heirat mit einer unfreien Person, Aufenthalt in unfreier Luft, d. h. unter Leibeigenen eines
Leibherrn, wenn er durch Jahr und Tag gedauert hat. Verknechtung kennen als Strafe nur
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