134 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Erbe und der, dem die Gewere durch gerichtliches Urteil zugesprochen worden war. Auch die
unkörperliche Gewere gab die Vermutung des Rechtes und die prozessualischen Vorteile der
körperlichen Gewere, aber nicht gegen jeden dritten Besitzer. Vielmehr wirkte die Gewere aus
der Auflassung nur gegen den Auflasser, die Gewere des Entwerten gegen den Entwerer, die
des Erben gegen den, der die Sache als Nichterbe in Besitz nahm, die Urteilsgewere gegen den,
dem die Gewere durch Urteil aberkannt worden war.
8 47. Liegenschaftöͤrechte. Das Eigentum an Liegenschaften. Das
vollste Recht, das man an einer Sache haben kann, ist Eigentum. Der Begriff ist alt, wenn auch
die Worte Eigenschaft und Eigentum erst aus dem 13. Jahrhundert nachweisbar sind. Die
Übereignung von Grundstücken erforderte erstens ein Veräußerungsgeschäft, sala (zugleich den
dinglichen Vertrag im Sinne unseres geltenden Rechtes enthaltend), zweitens die Üübergabe
des Grundstückes, vestitura, investitura, Handlungen, die ursprünglich in ungeschiedener Ein-
heit verbunden waren, indem sie gleichzeitig auf dem Grundstücke vorgenommen wurden. Die
Übergabe wurde durch Verbindung von zwei Formalakten zur rechtlichen Darstellung gebracht.
Der eine bestand in der Darreichung einer Erdscholle oder eines anderen zur handhaften Tradition
tauglichen Grundstücksteiles, der zweite in der körperlichen Räumung des Grundstückes von-
seiten des Veräußerers (exire). An Stelle der körperlichen Besitzräumung trat aber schon früh
ein Besitzräumungsvertrag, der durch eine mündliche Erklärung und bei den Franken durch
Übergabe einer kestuca (eines Stabes oder Halmes) abgeschlossen wurde. Das hieß per kestu-
cam se exitum dicere, exfestucatio, warpitio, resignatio, später Auflassung. Neben den germa-
nischen Übereignungsformen fand sich im fränkischen Reiche noch eine andere, die sich in dem
römischen Vulgarrecht entwickelt hatte, die Ubereignung per cartam, darin bestehend, daß der
Veräußerer dem Erwerber eine Veräußerungsurkunde übergab. Diese Form wurde auch von
den Germanen angewendet, namentlich bei Vergabungen an Kirchen, und von ihnen zu einer
Art der Vestitur umgebildet. Vermittelt wurde diese Umbildung durch die Entwicklung der
unkörperlichen oder symbolischen Vestitur.
Ursprünglich mußte die Vestitur auf dem Grundstücke selbst stattfinden, es gab nur eine
reale (körperliche) Vestitur. Zufolge ihrer rechtsförmlichen Ausgestaltung hatte sie aber von
Hause aus die Fähigkeit und die Tendenz, sich von dem Grundstück loszulösen und dadurch in
eine unkörperliche Ubergabe zu verwandeln. Als eine solche außerhalb des Grundstückes statt-
findende (unkörperliche) Vestitur begegnet uns zuerst im Königsgerichte, dann im Volksgerichte
die prozessualische Auflassung, die vor Gericht auf gerichtliches Urteil hin erfolgte. Da ein solches
Urteil nicht bloß durch einen wirklichen Rechtsstreit, sondern auch durch einen Scheinprozeß
herworgerufen werden konnte, bildete sich zum Zwecke der Ubereignung ein der römischen in
jure cessio vergleichbares Verfahren aus, bei welchem der Beklagte den Anspruch des Klägers
auf Uberlassung des Gutes einräumte und sich dem Urteile gemäß davon in rechtsförmlicher
Weise lossagte. Als eine unkörperliche Vestitur wurde dann auch die Ubereignung per cartam
ausgestaltet, indem die Veräußerungsurkunde in Verbindung mit den Traditionssymbolen
Torf und Zweig, Handschuh, Messer und festuca vor Gericht oder außergerichtlich dem Erwerber
dargereicht wurde. Ein weiterer Schritt war dann der, daß man die Übergabe der Urkunde
allein oder die Übergabe der Traditionssymbole ohne carta als selbständig wirksame Vestitur
betrachtete. Im Lehnrechte, im Staatsrechte und Staatskirchenrechte diente die Übergabe
von Traditionssymbolen, welche diesfalls von einer Auflassungshandlung nicht begleitet war,
unter dem Namen Investitur als Form der Belehnung und Ubertragung der Amtsgewalt.
In der Zeit der Rechtsbücher war die gerichtliche Auflassung zu erhöhter Bedeutung ge-
langt, was sich zum Teil durch die ausgezeichnete Beweiskraft des Gerichtszeugnisses und der
Gerichtsurkunde erklärt. In Süddeutschland hat sich neben der gerichtlichen Auflassung die
Übereignung durch Urkunde und die durch körperliche Vestitur erhalten. Doch machen ver-
schiedene Stadtrechte die gerichtliche Auflassung obligatorisch. Nach sächsischem Land= und
Stadtrecht wurde sie unbedingtes Erfordernis der Ubereignung. Das Verfahren blieb zwar
ein gerichtliches, doch war die herrschende Form nicht mehr die des Rechtsstreites. Die Parteien
erklären ihre Absicht, die Auflassung vornehmen zu wollen. Die Schöffen urteilen, daß sie es
von Rechts wegen können. Darauf findet die Auflassung mit etwas anderer Symbolik, nämlich