148 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
vorbehalten war. Manche Rechte, welche die Töchter hinter den Söhnen zurücksetzten, gaben
zum Ersatz dafür den Schwestern, mitunter auch den Vaterschwestern ein Erbrecht vor anderen
männlichen Verwandten des Erblassers. Im übrigen waren die weiblichen Verwandten ent-
weder auf eine Quote des Nachlasses oder geringere Anteile beschränkt, oder sie darbten des
Erbrechtes mindestens neben dem Mannesstamme, oder sie wurden, wie im sächsischen Rechte,
durch den gleichstehenden Mann des engeren Erbenkreises ausgeschlossen, oder sie teilten mit
ihm zu gleichem Rechte, wie dies vielfach im weiteren Erbenkreise der Fall war.
Die fernere Entwicklung führt durch eine verwirrende Mannigfaltigkeit verschiedenartiger
Zwischenbildungen hindurch zur Erweiterung des Weibererbrechts und zur erbrechtlichen Gleich-
stellung der beiden Geschlechter, die zuerst namentlich in den Städten Platz griff. Dagegen
hat sich hinsichtlich des Grundbesitzes im Lehnrechte, im Rechte des Adels und im Bauernrechte
die Zurücksetzung der Weiber erhalten.
Gewisse Gegenstände des Nachlasses waren einer Sondererbfolge unterworfen. Das
Heergewäte oder Heergeräte, bestehend aus den Gegenständen, die der Mann zur Kriegsfahrt
brauchte, fiel beim Tode eines Mannes, seit und soweit es aufgehört hatte, Totenteil zu sein,
an den nächsten Schwertmagen. Bei dem Tode einer Frau gelangte nach manchen Rechten,
so insbesondere nach sächsischem Rechte, die Gerade, in ihrem Inhalte der Witwengerade ent-
sprechend, an die nächste Niftel. Schutzhörige und Halbfreie mußten einen Teil des Nachlasses,
das beste Stück Vieh oder das beste Gewand oder eine in Geld fixierte Ablösungssumme, dem
Herrn hinterlassen, was ursprünglich als eine von dem Toten an den Herrn (aus dem Totenteil)
zu zahlende Abgabe aufgefaßt wurde: Eine besondere Stellung hatte im Erbrechte der Sachsen
das Handgemal, der Stammsitz eines freien Geschlechts mit zugehörigem Lande, der sich un-
geteilt auf den Altesten von der Schwertseite vererbte. Geschenktes Gut fiel einst gemäß den
Grundsätzen der germanischen Schenkung nach kinderlosem Tode des Beschenkten an den Schenker
zurück. Dieses Wiederanfallsrecht hat sich nur bei bestimmten Zweckschenkungen, insbesondere
bei Gaben der Eltern an ihre Kinder, erhalten. In fränkischen Tochterrechten hat sich daraus
ein singuläres Erbrecht (droit de retour) der Eltern an der Elterngabe entwickelt.
§ b7. Das Wartrecht und die Vergabung von Todes wegen. Das Erbrecht äußerte
sich schon bei Lebzeiten des Erblassers in dem Wartrechte der nächsten oder gewisser nächster
Erben. Wir unterscheiden ein älteres oder jüngeres Wartrecht. Das ältere ist Konsequenz
oder Nachwirkung der an den gesamten Hausvermögen zwischen Vater und Kindern bestehenden
Rechtsgemeinschaft. Auf der Stufe des älteren Wartrechtes stehen die sogenannten Freiteils-
rechte, d. h. die Rechte, nach denen der Erblasser nur über einen Teil seines beweglichen und
unbeweglichen Vermögens zum Nachteil der wartberechtigten Erben verfügen konnte. Wart-
berechtigt waren im allgemeinen nur die Söhne, mitunter auch die Erbtöchter (Töchter, neben
welchen Söhne nicht vorhanden waren). Der Freiteil, über den der Erblasser — anfänglich
nur nach erfolgter Abteilung der Söhne, später auch ohne solche Abteilung — verfügen durfte,
betrug entweder einen Kopfteil (bei den Langobarden und Bayern) oder eine feste Quote, die
Hälfte oder ein Drittel (nach salfränkischen und friesischen Rechten), ein Fünftel oder Zehntel
des ganzen Vermögens. Die jüngere Form des Wartrechtes erstreckt sich nur auf den Grund-
besitz und macht dessen Veräußerung von der Zustimmung der nächsten Erben abhängig, ohne
Rücksicht darauf, ob sie dadurch materiell geschädigt werden. Die ohne Erbenkonsens erfolgte
Veräußerung darf der nächste Erbe binnen Jahr und Tag anfechten und das veräußerte Gut
an sich ziehen (sormelles Beispruchsrecht). Dagegen mag der Erblasser gesunden Leibes über
die Fahrhabe frei unter Lebenden verfügen. Nur die im Siechtum erfolgte Veräußerung der
Fahrhabe ist unwirksam. Die Verfügungsfähigkeit des Erblassers wurde deshalb von gewissen
rechtlich hergebrachten Kraftproben des Veräußerers abhängig gemacht, eine Beschränkung,
gegen welche die Kirche lebhaft ankämpfte, wie denn auch die davon handelnde Stelle des Sachsen-
spiegels unter die vom Papste 1374 reprobierten Artikel dieses Rechtsbuches zählt.
Das formelle Beispruchsrecht findet sich in voller Deutlichkeit zuerst bei den Sachsen.
In der Zeit der Rechtsbücher hat es weitere Verbreitung, indem auch Freiteilsrechte dazu über-
gegangen waren, während in anderen der Freiteil nur noch für Vergabungen von Todes wegen
oder für Seelgaben praktische Bedeutung behielt.