Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

Zweiter Teil. 
Die Rechtsentwicklung seit der Aufnahme 
der fremden Rechte. 
  
I. Allgemeine Rechtsgeschichte. 
* 58. Niedergang und Untergang des Reiches. Das heilige römische Reich ging seit 
dem Ausgang des Mittelalters seiner allmählichen Auflösung entgegen. Seine Verfassung 
vermochte die abgestorbenen und zur Unwahrheit gewordenen Formen des Lehnwesens nicht 
zu Überwinden. Projekte und Versuche einer Verfassungsreform, die im 15. Jahrhundert auf- 
tauchten, blieben im wesentlichen erfolglos. Zwischen der Reichsgewalt und den Territorial= 
gewalten stellte sich ein Parallelogramm der Kräfte her, so daß sie sich gegenseitig das Gleich- 
gewicht hielten und keine der anderen Herr werden konnte. Der Schwerpunkt der politischen 
Entwicklung lag in den Territorien, von welchen Osterreich in Verbindung mit außerdeutschen 
Ländern seinem Fürstengeschlechte, dem Hause der Habsburger, den ununterbrochenen Besitz 
der deutschen Königskrone und des nun fast inhaltlosen Kaisertitels sicherte. Die spanisch- 
habsburgische Politik, welche die Interessen des Reiches hintansetzte, hatte zur Folge, daß die 
Schweiz, die Niederlande, Burgund und Italien dem Reiche auf die Dauer entfremdet wurden. 
Al der größere Teil Deutschlands sich der Reformation zugewendet hatte, führte die Gegen- 
reformation zu inneren Kriegen und zur Einmischung ausländischer Mächte. Der Westfälische 
Friede, durch den der Bürgerkrieg beendet wurde, ließ die religiösen und die politischen Gegen- 
sätze bestehen, die ihn hervorgerufen hatten. 
Da an der arg gefährdeten Westgrenze Deutschlands eine kräftige, zur Schutzmacht ge- 
eignete Territorialgewalt nicht vorhanden war, erlitt das Reich gerade nach dieser Seite hin 
empfindliche Gebietsverluste. 
Die französische Revolution und deren Folgen gaben den Anlaß zum endlichen Zusammen- 
sturze des Reiches, das seine Lebensfähigkeit schon längst eingebüßt hatte. Im Frieden von 
Luneville wurde 1801 das ganze linke Rheinufer an Frankreich abgetreten. Am 1. August 1806 
notifizierte Napoleon dem Reichstage die Stiftung des Rheinbundes, den sechzehn deutsche 
Fürsten unter seinem Protektorat am 12. Juli 1806 geschlossen hatten. Am 6. August 1806 
legte Franz II. die deutsche Kaiserkrone nieder, nachdem er schon 1804 den Titel eines Kaisers 
von Osterreich angenommen hatte, eine Handlung, welche, wie die Geschichte der Folgezeit 
lehrt, für die Dynastie der Habsburg-Lothringer den unwiderruflichen Verzicht auf die staats- 
rechtliche Führung des deutschen Volkes bedeutete. 
In der Zeit von der Auflösung des alten bis zur Gründung des neuen Deutschen Reiches 
machte Deutschland eine Reihe von staatsrechtlichen Ubergangsphasen durch. Zunächst bestand 
der Rheinbund als ein Versuch, Deutschland mit Ausschluß der beiden Großmächte zu kon- 
stituieren. Er kam über das Satellitenverhältnis zu Frankreich nicht hinaus, das ihn geschaffen 
hatte, und wurde durch die Befreiungskriege gesprengt. Die Bundesakte vom 8. Juni 1815 
vereinigte die deutschen Staaten mit Einschluß der beiden Großmächte zu einem unvollkommenen 
Staatenbunde, der die in den Befreiungskriegen angeregten Erwartungen keineswegs erfüllte, 
nach seiner Grundverfassung einer Weiterentwickelung unfähig war und unter der Leitung 
Osterreichs nur eine neue Form verschleierter Fremdherrschaft darstellte. Die nationale Ein-
	        
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