1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 151
heit wurde erst möglich, nachdem deren Gegner Osterreich und Frankreich in den Kriegen von
1866 und 1870 besiegt worden waren. Im Prager Frieden vom 23. August 1866 stimmte Oster-
reich der Auflösung des Deutschen Bundes zu. Damit hatte sich der langsame Auflösungs-
prozeß vollzogen, den einst die Entwicklung der Territorialgewalten begonnen hatte. Diese
ist aber bei jenem negativen Ergebnisse nicht stehengeblieben. Die norddeutsche Bundes-
verfassung vom 17. April 1867 vereinigte unter Preußens Führung zunächst die norddeutschen
Staaten zum Bundesstaate. Der Krieg, den Frankreich 1870 heraufbeschwor, endigte mit der
Wiedererwerbung der alten Reichslande Elsaß und Deutsch-Lothringen. Die Verfassung des
Deutschen Reiches vom 16. April 1871 brachte die Zeit der staatsrechtlichen Ubergangsformen
zum Abschluß.
#s 59. Die Besitzverhältnisse. Die Entwicklung der ländlichen Grundbesitzverhältnisse
nahm im östlichen und im westlichen Deutschland einen verschiedenartigen Verlauf. Dabei
bildeten Elbe und Böhmerwald die Scheidungslinie, im großen und ganzen zugleich die Grenze
zwischen den deutschen Stammlanden und dem deutschen Kolonisationsgebiet. Seit dem Aus-
gang des Mittelalters wurde in einem großen Teile Deutschlands die rechtliche Sicherheit der
bäuerlichen Besitzstände gelockert. Während vorher die Vererblichkeit der geliehenen Bauer-
stellen sich vielfach durchgesetzt hatte oder doch deren tatsächliche Vererbung auf dem besten
Wege war, zur Erblichkeit von Rechts wegen fortzuschreiten, machte sich seit dem 15. Jahr-
hundert eine rückläufige Bewegung geltend, indem die Grundherren die Erblichkeit der Bauer-
stellen zu beseitigen oder doch die Ausbildung der Erblichkeit zu hemmen trachteten. Vorschub
leistete diesem Streben die romanistische Jurisprudenz, die, auch wenn sie nicht geradezu bauern-
seindlich war, doch kein Verständnis besaß für die Mannigfaltigkeit der bäuerlichen Besitzformen
des deutschen Rechtes. Da zu deren Beurteilung das römische Recht nur die Begriffe der Erb-
pacht und der Zeitpacht an die Hand gab, wirkte seine Anwendung nivellierend; sie zwängte
zahlreiche Zwischenformen unter die Schablone der Zeitpacht.
Als seit der Ausbildung des Söldnerwesens das Rittertum aufgehört hatte, ein Lebens-
beruf zu sein, als seit der Rezeption der fremden Rechte der Adel in den Staatsämtern dem
rechtsgelehrten Beamtentum weichen mußte, wurde der Ritter zum Landwirt, indem er sich,
namentlich im Osten, mehr und mehr auf die Eigenbewirtschaftung seiner Güter verlegte.
Soweit es nötig, verließ er den Hof des Fürsten, Stadt oder Burg und legte sich einen zu land-
wirtschaftlichem Betrieb geeigneten Rittersitz an. Um die Eigenwirtschaft auszudehnen oder
zu begründen, begannen die Grundherren des Ostens die „Bauern zu legen“, d. h. Bauern-
land einzuziehen, um es in unmittelbare Nutzung zu nehmen. Oder sie widerstrebten wenigstens
der Erbleihe, um durch die Bedingungen der Wiederverleihung die Dienste der Bauern zu steigern
und dadurch für die in Ritteräcker verwandelten Bauerhufen und für die intensiver gewordene
Landwirtschaft die erforderlichen Arbeitskräfte zu gewinnen. Dabei kam ihnen sehr zustatten,
daß die Landesherren gerichtsherrliche und andere landesherrliche Rechte über die Bauern
sowie die Einziehung der Steuern den Grundherren überlassen hatten, und daß diese in den
Landtagen, auf denen die Bauern nicht vertreten waren, die Klinke der Gesetzgebung in der
Hand hielten. Nach dem Dreißigjährigen Kriege vollzog sich die Wiederbesiedelung des ver-
ödeten Landes häufig in der Weise, daß der Grundherr, ehe er die wüsten Bauerstellen besetzte,
den verfallenen Hof wiederherstellte, so daß auch Hofgebäude und Hofwehr (das Gutsinventar)
Eigentum des Grundherrn waren und somit dessen Belieben die Bedingungen der Leihe diktierte.
So kam es im östlichen Deutschland zur Ausbildung der Gutsherrschaften.
Dem Westen blieb eine derartige Entwicklung erspart. Die Macht der Landstände war
hier der landesherrlichen Gewalt früher erlegen als im Osten. Diese vermochte sich daher früh-
zeitig der Bauern gegen die Grundherren anzunehmen. So hat sie z. B. in Niedersachsen schon
im 16. Jahrhundert die Steigerung der Meierzinse verhindert und die Erblichkeit des Meier-
rechtes begründet. Soweit Einziehungen von Bauernland stattfanden, führten sie nicht zur
Ausbildung von Gutsherrschaften, weil der grundherrliche Besitz überwiegend vermeierter Streu-
besitz und daher das Salland zu klein war, um den Kern eines eigenwirtschaftlichen Großbetriebs
abzugeben. Der Ritter blieb hier in der Hauptsache der Rentner, der er vorher durch den Bezug
von Zinsen und Abgaben gewesen war.