152 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Im Osten drohte die Gutsherrschaft mittels systematischer Bauernlegung das Bauern-
land völlig aufzuzehren. Aber nur hier und da ist dieses Ergebnis nahezu erreicht worden. In
den größeren Territorien nahm sich die Staatsgewalt, als sie den Ständen gegenüber erstarkte,
des Bauernlandes an, um einen gesunden Bauernstand zu konsewieren, und um die Umwand-
lung steuerpflichtigen Bauernlandes in steuerfreies Herrenland hintanzuhalten. Sie machte
den Grundherren gegenüber einen öffentlich-rechtlichen Leihezwang geltend, indem sie ihnen
die Wiederbesetzung erledigter Bauerstellen vorschrieb und die Umwandlung von Bauernland
in Hofland verbot. In Brandenburg reichen die Anfänge des Leihezwanges bis in das Ende
des 16. Jahrhunderts zurück. Auf ganz Preußen dehnten ihn Friedrich Wilhelm I. (14. März
1739) und Friedrich der Große (12. August 1749) aus. Das preußische Landrecht hat ihn (II, 7,
*14) aufs neue sanktioniert.
Die agrarische Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts beseitigte die bäuerlichen Leiheverhält-
nisse, indem sie die geliehenen Bauergüter in dienstfreies Eigentum der Bauern verwandelte.
In Preußen hob das Edikt vom 9. Oktober 1807 die ständische Gebundenheit des Grundstücks-
verkehrs auf. Künftighin sollte der Adlige auch unadlige Güter, der Bürger und Bauer nicht
bloß bürgerliche und bäuerliche, sondern auch adlige Güter erwerben dürfen. Durch ein Edikt
vom 14. September 1811 und durch die Deklaration vom 29. Mai 1816 führte die Hardenbergsche
Gesetzgebung die Regulierung (die Umwandlung der Leiherechts in Eigentum des Beliehenen)
bei den sogenannten lassitischen Gütern durch. Die Besitzer erblicher Laßgüter erlangten gegen
Abtretung von einem Drittel, die Besitzer nicht erblicher Laßgüter und die gutsherrlichen Zeit-
pachtbauern gegen Abtretung der Hälfte des Bauernlandes das dienstfreie Eigentum ihrer Stellen.
Die Deklaration vom 29. Mai 1816 schränkte die Regulierbarkeit durch wesentliche Ausnahmen
ein, so daß insbesondere die kleineren, die nicht spannfähigen Stellen davon ausgeschlossen wurden.
Trotzdem gab man den öffentlich-rechtlichen Leihezwang auch für das nicht regulierbare Bauern-
land auf, was zur Folge hatte, daß von 1816—1848 ein guter Teil davon durch die Grundherren
eingezogen oder in ein reines Pachtverhältnis hinübergeleitet wurde. Erst das Gesetz, be-
treffend die Ablösung der Reallasten, vom 2. März 1850 dehnte die Regulierung auf die 1816
ausgeschlossenen und noch vorhandenen Stellen aus und verwandelte außerdem die Erbzins-
und Erbpachtgüter in Eigentum des Erbzinsmannes und des Erbpächters. Die Regulierung
geschah nunmehr ohne Landabtretung. Von den bäuerlichen Lasten wurden einzelne, so die
Jagdfronden und der Sterbefall, ohne Entschädigung aufgehoben, die meisten aber einem Ab-
lösungsverfahren unterworfen, für dessen Vermittlung besondere Provinzialrentenbanken er-
richtet wurden. In den deutschen Landschaften, die vorübergehend zu Frankreich gehörten,
erfolgte die Bauernbefreiung gemäß der Gesetzgebung der französischen Revolutionszeit. In
den meisten übrigen Staaten geschah sie zwar ohne Landabtretung, aber so, daß zur Entschädigung
der Grundherren die Hilfe des Staates oder der Provinzen in Anspruch genommen wurde. Mit
der Ablösung der Grundlasten ist der wirtschaftliche Prozeß, der durch die Ausbildung der Leihe-
verhältnisse in fränkischer Zeit als Reaktion gegen die Anhäufung des Grundbesitzes in den
Händen weniger begonnen hatte, im Gebiete der bäuerlichen Besitzstände zu seinem geschicht-
lichen Abschlusse gelangt.
Die neuere agrarische Gesetzgebung hat ferner die Aufhebung der Almenden, der Forst-
und Weideservituten und die Verkoppelung (die Zusammenlegung im Gemenge liegender
Grundstücke) in die Wege geleitet, die meisten Retraktrechte beseitigt, die unbeschränkte Teilbar-
keit des Grundbesitzes ausgesprochen, ihn dem gemeinen Erbrecht unterworfen und die Ver-
tragsfreiheit auf dem Gebiete des Immobiliarrechtes eingeengt, indem sie die Begründung
erblicher Nutzungsrechte und dauernder Grundrenten unmöglich machte. Die mißlichen Folgen
dieser zum Teil allzu radikalen Agrarpolitik äußerten sich in der hypothekarischen Überschuldung
der Bauergüter oder in der Ausbildung von Zwergwirtschaften und in dem zunehmenden
Mangel ländlicher Arbeitskräfte. Die neueste Landesgesetzgebung sah sich daher genötigt, neue
Wege einzuschlagen, indem sie zum Zwecke der Erhaltung des bäuerlichen Besitzes das Anerben-
recht normierte, zum Zweck seiner Vermehrung die Bildung von Rentengütern ermöglichte.
Das Lehnwesen büßte mit der Auflösung des Reiches seine staatsrechtliche Bedeutung
ein. Nachdem schon die Zeit der französischen Herrschaft in einem Teile Deutschlands den
Lehnsverband beseitigt hatte, machte ihm die deutsche Allodifikationsgesetzgebung in den meisten