160 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
der Erbfälle von 1527, die Tiroler Landesordnungen von 1526, 1632 und 1573, das Landrecht
des Fürstentums Jülich von 1537, das dietmarsische Landrecht von 1567, das württembergische
Landrecht von 1555, revidiert 1567 und 1610, der Grafschaft Solms Gerichts- und Landordnung
von 1571 (von Johann Fichard abgefaßt), die Landeskonstitutionen des Kurfürsten August von
Sachsen von 1572, die kursächsischen Dezisionen von 1661 und 1746, das Landrecht des Herzog-
tums Preußen von 1620, auf dem Magdeburger Rechte und dem Kulm beruhend und mit Be-
nutzung der sächsischen Konstitutionen und der gemeinrechtlichen Literatur ausgearbeitet, zuletzt
1721 von Samuel v. Cocceji revidiert, der Coder Maximilianeus bavaricus civilis von 1756,
von Wigulaeus v. Kreittmayr verfaßt, der auch Anmerkungen dazu herausgab. Einzelne Landes-
ordnungen sind anderen, zum Teil solchen weit entlegener Länder entlehnt, ein Beweis, wie
wenig man mitunter auf die örtlichen Gewohnheiten Rücksicht nahm. So ist die Landesordnung
der fürstlichen Grafschaft Henneberg von 1539 größtenteils der Tiroler Landesordnung von
1532 entnommen. So stellt sich das badische Landrecht von 1588 zum guten Teil als eine Kopie
des württembergischen von 1567 dar. So ist das Geldernsche Landrecht von 1619 für das Ober-
quartier von Ruremond, eine der „erschöpfendsten und gründlichsten“ Arbeiten der deutschen
Territorialgesetzgebung, von dem Landsyndikus Tilmann van Bree und von dem Kanzler Uwens
in engster Anlehnung an die Antwerpener Costumen, genannt Compilatae, von 1608 ausgearbeitet
worden.
In den Städten hat man, soweit sie nicht der Landesgesetzgebung unterworfen wurden,
die alten Stadtrechte reformiert, um sie so viel als möglich mit dem neuen Rechtszustand in
Einklang zu bringen. Von den Stadtrechtsreformationen ist die Nürnberger Reformation von
1479 bahnbrechend geworden als der erste gelungene Versuch, das einheimische Recht mit dem
fremden systematisch zu verarbeiten, welcher dann für mehrere jüngere Stadtrechte und Landes-
ordnungen als Quelle und Vorbild gedient hat. Außerdem sind zu nennen das Revidierte
Lübische Stadtrecht von 1586, das von dem Syndikus der Stadt Stralsund, David Mevius,
eingehend kommentiert worden ist, die weitschweifige und stark romanistische Wormser Reforma-
tion von 1499, das von Ulrich Zasius ausgearbeitete Stadtrecht Freiburgs im Breisgau von
1520, die Frankfurter Reformationen von 1509, 1578 und 1611 und die Hamburger Statuten
von 1603, die in ihrem wechselrechtlichen Teile auf die Antwerpener Kostumen zurückgehen.
# 64. Die Anfünge einer nationalen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung. Die ge-
lehrte juristische Literatur, die nach der Aufnahme der fremden Rechte in Deutschland entstand,
befaßte sich fast ausschließlich mit dem fremden Rechte und war mit wenigen Ausnahmen, unter
denen der Freiburger Humanist Ulrich Zäsy (Zasius f# 1535) rühmlichst hervorzuheben ist, in
ihren Leistungen von welschen Vorbildern abhängig. Die gemeinrechtliche Praxis wurde durch
eine Schule von Juristen geleitet, die sich am Reichskammergerichte herangebildet hatten und
dessen Rechtsprechung literarisch bearbeiteten. Die Hauptvertreter dieser kameralistischen Schule
wurden der Protestant Joachim Mynsinger von Frundeck und sein katholischer Antagonist
Andreas Gail.
Seit dem 17. Jahrhundert machte sich in der Wissenschaft eine grundsätzliche Opposition
gegen die Alleinherrschaft des römischen Rechtes geltend. In dieser Gegnerschaft vereinigten
sich zwei von verschiedenen Ausgangspunkten ausgehende Schulen, die germanistische und die
naturrechtliche. Der Germanist Hermann Conring veröffentlichte 1643 sein bahnbrechendes
Werk ce origine juris germanici, worin er die Grundlinien der deutschen Rechtsentwicklung
zeichnete, die damals kursierende Fabel widerlegte, daß Kaiser Lothar die Anwendung des
römischen Rechtes in den Gerichten und dessen öffentliche Lehre angeordnet habe, und die Ab-
fassung eines gemeinverständlichen Gesetzbuches in deutscher Sprache verlangte. Dank dem
Auftreten Conrings mußte die Theorie die Abweichungen der Praxis vom römischen Rechte
als gewohnheitsrechtliche Umbildungen anerkennen. Sie gelangten von nun ab als usus
hodiernus pandectarum zur wissenschaftlichen Darstellung. Zu den einflußreichsten Schrift-
stellern, die das dentsche Recht in jeder Form behandelten und förderten, zählen Johann Schilter,
der in seiner Praxis juris romani in koro germanico die deutschen Rechtsquellen eingehend berück-
sichtigte, und der Hallenser Jurist Samuel Stryk (f 1710) mit seinem Usus modernus pandec-
tarum (1690—1712).