1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 167
stimmen gewohnheitsrechtlich den Charakter eines auf dem Fürstentum haftenden Realrechts,
so daß die Vereinigung mehrerer Territorien in einer Hand zu einer Häufung von Stimmen
in der Person desselben Stimmträgers, die Teilung eines Fürstentums zur Abgabe einer ge-
meinschaftlichen Stimme führte. Auch kaiserliche Erhebung in den Reichsfürstenstand be-
gründete nach älterem Rechte den Erwerb der Reichsstandschaft. Allein auf den Reichstagen
von 1641 und 1654 wurde das „beneficium sessionis et voti“, um Mißbräuchen des kaiserlichen
Ernennungsrechtes vorzubeugen, an die Bedingung geknüpft, daß der vom Kaiser kreierte Fürst
unmittelbare fürstenmäßige Reichsgüter erwerbe, zur Reichsmatrikel veranlagt sei, und daß
seine Reichsstandschaft die Zustimmung der Kurfürsten und Stände erlange.
3. Das Kollegium der Städte unter dem Direktorium der Stadt, in welcher der Reichstag
versammelt war. Es zerfiel in eine rheinische Städtebank mit 14 und in eine schwäbische mit
37 Städten. Das früher bestrittene votum decisivum der Städte wurde im Westfälischen
Frieden ausdrücklich anerkannt.
Kaiser und Reichsstände, die nicht persönlich auf den Reichstagen erschienen, konnten sich
vertreten lassen, jener durch einen Kommissarius fürstlichen Ranges, diese durch Gesandte.
Seit der Reichstag permanent geworden, gestaltete er sich zu einem ständigen Gesandtenkongreß.
Seit 1663 war dem kaiserlichen Kommissar (von da ab Prinzipalkommissarius) ein rechtsgelehrter
Konkommissarius an die Seite gestellt. Sitz des Reichstags ist, seit er permanent geworden,
Regensburg geblieben, wohin ihn der Kaiser zuletzt einberufen hatte.
Jedes Kollegium beschloß und beriet für sich. Alle drei Kollegien mußten sich einigen,
auf daß ein Rechtsgutachten zustande komme. Die Sanktion des Kaisers, die in einem Ratifika-
tionsdekrete erteilt zu werden pflegte, erhob das Reichsgutachten zum Reichsschluß, conclusum
imperü. In Religionsangelegenheiten schied sich der Reichstag in ein corpus catholicorum
unter dem Vorsitz von Mainz und in ein corpus evangelicorum unter dem Vorsitz Kursachsens.
Erforderlich war die Übereinstimmung (amicabilis compositio) beider corpora, innerhalb deren
die Mehrheit entschied.
Gemäß dem Westfälischen Frieden stand dem Reichstage zu die Gesetzgebung, die Inter-
pretation der Gesetze, die Beschlußfassung über Krieg, Frieden und Bündnisse, die Auflegung
von Steuern, das Recht, die Aufhebung und Einquartierung von Truppen und die Anlage und
Verstärkung von Festungen zu bestimmen. In gewissen Fällen hatte der Reichstag auch richter-
liche Kompetenz.
§ 70. Die Reichsglieder und deren Stellung zum Reiche. Die Bevölkerung des Reiches
zerfiel in zwei ungleiche Hälften, in die geringe Zahl der Reichsunmittelbaren und in die große
Masse der mittelbaren und landsässigen Bevölkerung. Reichsunmittelbar waren die Landes-
herren (Fürsten, Prälaten, Grafen und Herren) und die Mitglieder der landesherrlichen Familien,
die Reichsstädte, die Reichsritter, die Reichsdörfer und die Reichsbeamten.
Eine erhebliche Verminderung erlitt die Zahl der Reichsglieder durch den Reichsdeputations-
hauptschluß von 1803, der die erblichen Reichsfürsten für die Verluste entschädigte, die sie durch
die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich erlitten hatten. Die geistlichen Territorien
wurden damals fast sämtlich säkularisiert. Nur der Kurerzkanzler, der Deutsche und der Malteser-
Orden blieben als geistliche Reichsstände übrig. Von den Reichsstädten wurden 41 mediatisiert,
so daß das Städtekollegium nur noch aus sechs Reichsstädten bestand (Augsburg, Lübeck, Nürn-
berg, Frankfurt a. M., Bremen und Hamburg). Völlig verschwanden die wenigen noch vor-
handenen Reichsdörfer. Von den Reichsrittern wurden viele 1805 der bayrischen oder württem-
bergischen Landeshoheit unterworfen.
Die Reichsunmittelbaren waren sämtlich gegen Kaiser und Reich zur Treue verpflichtet.
Sie mußten vor den Reichsgerichten zu Recht stehen, soweit sie nicht das Recht der Austräge besaßen.
Die Reichsstände hatten die Pflicht, persönlich oder durch einen Vertreter an den Reichs-
tagen teilzunehmen. Der Lehnsverband, in dem sich Fürsten, Grafen und Herren befanden,
legte ihnen nur noch die Pflicht auf, bei Thron- und Mannfall die Belehnung nachzusuchen,
die durch Gesandte oder Boten empfangen wurde.
Die Reichsstände hatten Truppen zum Reichsheer zu stellen. Das Reich selbst hielt kein
stehendes Heer. Für die Höhe der Truppenkontingente wurde die Wormser Matrikel von 1521