14 I. Rechtsphilosophie und Universalrechtsgeschichte.
und Wissenschaftsphilosophie“ IIV (1904—1907) nicht nur die Rechtswissenschaft überhaupt,
sondern vor allem die Rechtsphilosophie mächtig gefördert 1. Er ist der Vorläufer des Neu-
hegelianismus, der von Hegel den metaphysischen Entwicklungsbegriff übernimmt,
seine Gedankenwelt aber dadurch berichtigt, daß er die Entwicklung nicht in die Kategorie der
Denkfunktionen einzwängt, sondern anerkennt, daß die Entwicklung in der Empirie unendlich
viele Bahnen einschlägt, um das Ziel zu erreichen, ebenso wie die organische Entwicklung des
Pflanzenlebens sich in unendlich verschiedenen Einzelformen vollzieht. Die notwendige Er-
gänzung des metaphysischen Entwicklungsgedankens ist daher nicht die Dialektik, sondern das
Studium der Außenwelt mit ihrer unendlichen Fülle und ihrem unerschöpflichen Reichtum,
vor allem das Studium der Menschheit in den verschiedensten Phasen ihres Denkens und in
den mannigfachsten Formen ihres Wirkens . Diesen Ideen folgte bereits meine Darstellung
in der 1. Auflage dieser Encyklopädie, sowie meine Einführung in die Rechtswissenschaft (jetzt
4. Aufl. 1912), sie sind völlig ausgeführt in meinem Lehrbuch der Rechtsphilosophie“, (1909)#,
sie sind weiter ausgeführt in verschiedenen Aufsätzen in dem von Berolzheimer und mir be-
gründeten „Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie“ (jetzt 5 Bände) 4; welches der Aus-
gestaltung der Rechtsphilosophie gewidmet ist.
#§*# 8. Rechtsphilosophie und Universalrechtsgeschichte.
Damit ist auch das Verhältnis zwischen der Rechtsphilosophie und der Universalrechts-
geschichte klargelegt. Die Universalrechtsgeschichte hat zu zeigen, wie sich das Recht im Laufe
der Geschichte entwickelt, und sie hat in Verbindung mit der Kulturgeschichte zu zeigen, welche
Kulturfolgen mit dem Rechte verbunden waren, und wie durch das Recht das Kulturdasein
eines Volkes bedingt und der Kulturfortschritt gefördert worden ist #. Sind wir auf diesem
Stande, dann wird die Rechtsphilosophie uns zeigen zu haben, welche Rolle die Rechtsordnung
in der teleologischen Entwicklung des Weltprozesses gespielt hat, und welche Rolle sie unter den
verschiedenen Kulturverhältnissen noch zu spielen hat; sie wird zu zeigen haben, zu welchen
Zielen die Menschheit unter dem Schutze der Rechtsordnung gelangen soll, und wie auf solche
Weise das Recht teilnimmt an der letzten Bestimmung der Weltgeschicke. Ohne Universalrechts-
geschichte gibt es ebensowenig eine zutreffende Rechtsphilosophie, wie ohne Universalgeschichte
eine Philosophie der Menschheit oder ohne Linguistik eine Philosophie der Sprache. Die
heutige Rechtsphilosophie ist, wie bemerkt, der mit der Universalrechtsgeschichte verschwisterte
Neuhegelianismus.
Aus dem Gesagten wird sich auch ergeben, wie unrecht diejenigen haben, welche glauben,
daß für die Rechtsphilosophie das Studium der Universalrechtsgeschichte bedeutunge-
los sei, und es damit vergleichen, als ob wir unsere heutige Mathematik auf den Stand etwa
der mathematischen Vorstellungen der Rothäute herabschrauben und die jahrtausendelange
Entwicklung beiseite werfen wollten. Bei der Mathematik wie bei den Naturwissenschaften
handelt es sich um etwas außerhalb des Menschen Gegebenes, das mehr oder minder gut er-
kannt wird; in dieser Beziehung natürlich werden wir bei den Naturvölkern niemals zur Lehre
gehen. Das Recht aber ist, ebenso wie die Sprache, nichts außerhalb des Menschen Gegebenes,
sondern ein im Menschen, durch den Menschen geschaffenes Erzeugnis. Wenn wir es daher,
ähnlich wie Sprache und Religion, als eine Erscheinung der jeweiligen Kulturwelt verfolgen
und dabei die Verhältnisse der Rechtsentwicklung zur Kulturbildung darzustellen suchen, so sind
1 * auch Berolzheimer, Arch. f. Rechtsphil. III S. 193.
* Vgl. auch Brunstäd, Untersuchungen zu Hegels Geschichtophilosonhie (1900).
7 Lasson, Archiv f. Rechtsphil. II S. 318, Castellejo, Kohlers Philosophie
und Rechtslehre (übersetzt von Sternberg) ebenda IV S. 56, 264. Das Lehrbuch wurde in Amerika
ins Englische übersetzt: The philosophy of Law, translated by A. Albrecht. Bgl. auch
Bevilaqua in der Akademie zu Rio de Janeiro (zur Masnahme von von is Lessa) p. 47 I
(1910); und Barillari, Diritto e filosofia I p. 189 (1910), f. (1912).
Bgl. meine Aussätzeii im Archiv f. on- . 3 f., 192 f., # * II S. 45, IV S. 558,
Berolzheimer ebenda I S. 437, III S.
* Uber den seltsamerweise an efochtenen nii vgl. Arch. f. Rechtsphil. III S. 170,
501 f., Einführung in die Rechtswiff senschaft (4. Aufl.) S. 4