196 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Wirkung ist Ausschluß; wer reden sollte, aber nicht redete, muß für immer schweigen. Haben
sich alle Anfechtungsberechtigten verschwiegen, so tritt, da der Zustand unanfechtbar wird, der
gleiche Erfolg ein, als wäre Eigentum, Freiheit usw. ersessen. — Nach der Rezeption ging
die Verschweigung zum Teil in die fremdrechtliche Ersitzung und Verjährung über. Aber sie
ging nicht unter. Vielmehr entweckelte sich aus ihr schon seit dem 16. Jahrhundert (zuerst
beim Reichskammergericht, dann besonders in der sächsischen Praxis) das Ausschlußverfahren
auf Grund eines gerichtlichen Aufgebots (Ediktalverfahren), das in das heutige Privatrecht tief
eingreift. Überdies aber ist in den zahlreichen von selbst laufenden Ausschlußfristen, die das
geltende Recht neben den Verjährungsfristen kennt, der Gedanke der Verschweigung wieder
lebendig geworden.
Ergänzt wurde die Verschweigung im Mittelalter durch die Unvordenklichkeit,
indem die Anschauung herrschte, daß ein seit unvordenklicher Zeit nach Art eines Rechtszustandes
unwidersprochen bestehender Zustand als Rechtszustand anzusehen sei. Doch floß die Unvor-
denklichkeit mit dem örtlichen Gewohnheitsrecht im Begriff des „Herkommens“ zusammen.
Die Jurisprudenz bildete daraus (in Anlehnung an römische und kanonische Stellen) ein
festes, gemeinrechtliches Institut. Die Unvordenklichkeit ist nicht eine Art der Verjährung,
sondern begründet eine durch richterliche Feststellung unumstößlich werdende Vermutung für
einstmalige gehörige Rechtsentstehung. Auf Unvordenklichkeit kann jedes Recht gestützt werden,
das einmal gültig entstehen konnte und dauernde Ausübung zuläßt. Erfordernisse sind dauernder
Bestand des Verhältnisses nach Art eines Rechtsverhältnisses und unvordenkliche Zeit dieses
Bestandes. In letzterer Hinsicht ist positiv erforderlich, daß die gegenwärtige Generation sich
erinnert, es sei immer so und nicht anders gehalten, negativ, daß niemand von seinen Vor-
fahren etwas über die Entstehung des Zustandes gehört hat und auch sonst ein bestimmter An-
fang nicht erweislich ist („Erinnerung zweier Menschenalter“, Zurückliegen über „Menschen-
gedenken"). — Neuere Gesetzbücher haben die Unvordenklichkeit (zum Teil unter Ersetzung
durch eine anomale Verjährung) abgeschafft. Auch das BGB. kennt sie nicht. Sie bleibt
aber für ältere Verhältnisse und in manchen dem Landesrecht vorbehaltenen Materien (z. B
Adel, Wasserrecht, Regalien) bedeutungsvoll.
Mit der Rezeption drangen die römischen Rechtsinstitute der Verjährung und Er-
sitzung ein, jedoch in der vom kanonischen Recht unter germanischen Einflüssen vollzogenen
Umbildung. In den Partikularrechten wurden vielfach (insbesondere hinsichtlich der Zeitdauer)
deutschrechtliche Elemente eingefügt.
Literatur: Immerwahr, Die Verschweigung im Deutschen Recht (Unters. z. D. St. u. R.G.
H. 48), 1895. A. Schmidt, Echte Not, 1888. — Pfeiffer, Über den alizerm. Ursprung der
Lehre vom unvordenklichen Besitz, Z. . D. R. VIII I1ff.; Prakt. Ausf. II Iff., VII Nof.
Buchka, Der unvordenkliche Besitz, 1841. Friedländer, Die Lehre von derfj un-
vordenklichen Zeit, 1843.
§ 16. Ausübung der Rechte. Die Ausübung der Rechte erfolgt durch eine ihrem Inhalt
entsprechende (rechtsgeschäftliche oder sonstige) Tätigkeit. Sie hängt vom freien Belieben ab.
Doch zieht in manchen Fällen nach deutschem Recht der Nichtgebrauch eines Rechtes dessen
Verlust nach sich (z. B. bei Bergwerkseigentum, Erfinderrecht, Jagdrecht). Und es ist ferner
vielfach der Mißbrauch der Rechte durch Ausübungsbeschränkungen eingeengt, immer aber die
Ausübung zur Schikane, die nur den Zweck haben kann, einem anderen zu schaden, unzulässig.
Bei einer Kollision von Rechten, die nicht oder doch nicht voll nebeneinander ausgeübt werden
können, geht das stärkere Recht vor. Unter gleich starken Rechten entscheidet im Zweifel die
Prävention: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ (beim Bannmüller). In vielen Fällen aber
sucht das deutsche Recht vielmehr einen billigen Ausgleich herbeizuführen: durch Teilung des
Genusses, Abwechselung im Genuß oder letzten Falles das Los („Das Loos stillt
den Hader“).
Die Ausübung der Privatrechte kann, soweit nicht bei gewissen höchstpersönlichen Rechten
eine Ausnahme gilt, durch einen Vertreter erfolgen. Der Vertreter übt fremdes Recht
in fremdem Namen aus. Er kann aber ein eigenes Recht auf die Ausübung haben. Die
Vertreterschaft kraft eigenen Rechts hat im deutschen Recht vielfach eine besondere Ausbildung