198 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Unterscheidungen wirken jedoch insoweit nach, als ihnen bei uns durchgedrungene materiell-
rechtliche Verschiedenheiten zugrunde liegen (so besonders die dem älteren deutschen Recht
fremde Unterscheidung von actiones in rem und in personam).
Ahnlich verhält es sich mit der Einrede. Jedem Recht entspringt an sich eine Ein-
rede; es gibt aber Rechte, die nur einredeweise geltend gemacht werden können, und Rechte,
die zwar eine Klage, aber keine Einrede begründen. Das römische Exzeptionensystem hat seine
sormale Bedeutung verloren, während die in ihm zutage getretenen inneren Unterschiede der
Rechte fortwirken.
Literatur: Laband, Die vermögensrechtlichen Klagen nach den sächs. Rechtsquellen des
Mittelalters, 1869. Planck, Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter, 1879, I 339 ff.
Heusler, Inst. I 384 ff.
§ 18. Selbsthilfe. Ursprünglich ließ das germamsche Recht dem freien Manne die
Wahl, ob er im Falle einer Verletzung seines Rechts die Gerichtshilfe anrufen oder sich durch
Selbsthilfe Recht verschaffen wollte. Das Wahlrecht zwischen Rechtsgang und Fehdegang,
das sich am zähesten bei der Blutfehde erhielt, im späteren Mittelalter aber wieder in einem
allgemeinen Fehderecht der Waffenmächtigen hervorbrach, wurde allmählich eingeengt und
endlich durch den ewigen Landfrieden von 1495 grundsätzlich beseitigt. Nach der Rezeption
erklärte man mehr und mehr die Selbsthilfe an sich für unerlaubt, nahm die römischen Privat-
strafen der Selbsthilfe auf und suchte die Fälle der ausnahmsweise zulässigen Selbsthilfe mög-
lichst einzuschränken. Die römischen Privatstrafen wurden wieder abgestoßen. Neuerdings
aber drang überhaupt die Anschauung durch, daß Selbsthilfe an sich erlaubt ist und nur regel-
mäßig eine an sich unerlaubte Handlung nicht erlaubt macht. Zugleich wurden die Fälle er-
weitert, in denen ausnahmsweise auch Selbsthilfe mit Anwendung von Gewalt erlaubt, somit
ein gewaltsamer Eingriff in ein fremdes Persönlichkeits- oder Sachgut nicht rechtswidrig (wenn
auch unter Umständen mit Schadensersatzpflicht verknüpft) ist. In diesem Sinne gestattet
das BGB. nicht nur die Selbstverteidigung durch Gewalt gegen die Person im Falle der Not-
wehr und durch Zerstörung oder Beschädigung von Sachen im Falle des zivilrechtlichen Not-
standes, sondern auch die Selbsthilfe durch Angriff (Festnahme der Person, Wegnahme einer
Sache, gewaltsames Brechen von Widerstand, Sachbeschädigung) behufs Rechtsverwirklichung,
wenn Gefahr im Verzuge und obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist.
Ein erweitertes Recht der Selbsthilfe durch Angriff ist das Recht eigenmächtiger
Pfändung. Die eigenmächtige Pfändung zur Befriedigung wegen eines urteilsmäßig
feststehenden oder sonst besonders qualifizierten Anspruchs, die sich namentlich auf Grund einer
vertragsmäßigen Pfändungsklausel („mit und ohne Recht") und wegen fälliger Grundzinse
und Renten bis in die neuere Zeit erhielt, ist verschwunden. Dagegen wurde die eigenmächtige
Pfändung zum Schutze des Grundbesitzes, die schon in den Volksrechten in der doppelten Ge-
stalt der Viehpfändung (Schüttung) und der Personalpfändung begegnet und in den späteren
Quellen (besonders den ländlichen Weistümern) eingehend geregelt ist, als gemeines Ge-
wohnheitsrecht und in den meisten Partikularrechten festgehalten und vom BG#B. als Institut
des Landesrechts geschont (EG. a. 89). Voraussetzung ist, daß ein (land-, forst- oder gartenwirt-
schaftliches) Grundstück von fremdem Vieh betreten oder von einem Unbefugten durch Be-
treten oder Nutzungsausübung geschädigt wird. Pfändungsberechtigt ist jeder Nutzungsberech-
tigte, ausübungsbefugt auch der Familienangehörige oder Angestellte. Die Pfändung muß
auf frischer Tat und innerhalb des Grundstücks (oder doch der Feldflur) stattfinden. Sie er-
folgt durch Besitzergreifung an Vieh oder an einer von der schädigenden Person benutzten Sache
(Werkzeug, Peitsche, Mütze usw.), darf jedoch das erforderliche Maß nicht überschreiten. Der
Pfändende muß sich unnötiger Gewalt enthalten, dem Gepfändeten aber ist Gegenwehr (ins-
besondere „Pfandkehrung“ und „Gegenpfändung") verboten. Die vollzogene Pfändung ist
dem etwa bekannten Eigentümer, sonst nach den meisten Gesetzen der Obrigkeit anzuzeigen.
Das genommene Pfand ist gehörig aufzubewahren, nach manchen Rechten in öffentlichen Ge-
wahrsam (Vieh in den Pfandstall) abzuliefern. Die Wirkung ist neben der Beweissicherung,
die ursprünglich den Hauptzweck bildete und in einem formellen Beweisvorzuge Ausdruck fand,
Begründung eines Pfandrechts an der gepfändeten Sache wegen der Forderung auf Schadens-