Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

2. O., v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 201 
auch heute Mann und Frau, Vater und Mutter einander nicht gleich. Die ehemalige Zurück- 
setzung der Frauen im Erbrecht, die schon im mittelalterlichen gemeinen Erbrecht (besonders 
in den Städten) verschwand, hat sich bei der Sondererbfolge in gebundene Güter erhalten. 
Die Unfähigkeit der Frauen zur Vormundschaft über andere Personen außer den eigenen Kindern 
und Enkeln ist durch das BG. beseitigt; die Frauen sind aber von der Vormundschaftspflicht 
befreit geblieben. Jede Beschränkung der Handlungsfähigkeit ist für unverheiratete Frauen 
schon mit dem Absterben der Geschlechtsvormundschaft, für verheiratete Frauen mit der Auf- 
hebung der ehemännlichen Vormundschaft durch das BGB. weggefallen. 
II. Altersunterschied. Das alte deutsche Recht kannte nur eine einzige Stufe 
der Altersreife: die Mündigkeit. Sie trat ursprünglich wohl mit der Geschlechtsreife, nach 
den Volksrechten mit festen (aber wohl nur frühesten) Terminen ein, unter denen der ver- 
breitetste der von 12 Jahren war (bei den Angelsachsen 10, bei den Ripuariern 15 Jahre). 
Später wurden sie bei einigen Stämmen hinausgeschoben, oft auf 18 Jahre. Anderswo 
wurden nun zwei Termine unterschieden; nach Sachsenrecht kommt man mit 12 Jahren „zu 
seinen Jahren", aber erst mit 21 Jahren „zu seinen Tagen“; bis zum ersten Termin muß, bis 
zum zweiten kann man einen Vormund haben; bleibt man unter Vormundschaft, so ist die 
Rechtsstellung dieselbe; regelmäßig wurde die Vormundschaft und somit auch die Unmündigkeit 
bis zu 21 Jahren verlängert. Mit dem fremden Recht wurde die Stufe des Kindesalters bis 
zu 7 Jahren ausgenommen (unbekannt im französischen Recht). Dagegen drang die Unter- 
scheidung zwischen impuberes und minores zwar in das gemeine Recht ein, verlor aber durch 
die einheitliche Gestaltung der Vormundschaft an Bedeutung und wurde in den Partikular- 
rechten völlig entwertet, bis das BGB. sie überhaupt aufgegeben hat. Der Termin der Voll- 
jährigkeit wurde im gemeinen Recht der von 25 Jahren, blieb dagegen im Sachsenrecht und 
sonst der von 21 Jahren, während das preußische und (seit 1753) österreichische Recht 24 Jahre 
an die Stelle setzten und daneben viele andere Termine galten. Seit dem RG. vom 15. Februar 
1875 wird der Deutsche mit 21 Jahren volljährig (ebenso das französische und englische Recht; 
das schweizerische Recht hat 20, das holländische 23, das österreichische 24 Jahre). Die be- 
sonderen hausrechtlichen Mündigkeitstermine des hohen Adels sind nur für die landesherrlichen 
Familien in Kraft geblieben (regelmäßig 18 Jahre). Jahrgebung vor der Zeit war schon im 
Mittelalter bekannt; später wurde die römische venia aetatis zu einer (mit 18 Jahren zulässigen) 
gerichtlichen Großjährigkeitserklärung mit voller Wirkung umgebildet und ist als solche im BGB. 
geregelt. 
Die Wirkung der Altersunreife war nach deutschem Recht Unfähigkeit, die Munt 
über andere und über sich selbst („Selbmündigkeit") zu haben, somit auch Unfähigkeit zu solchen 
Handlungen, die Selbstvertretung fordern (besonders vor Gericht). Im übrigen war der Un- 
mündige handlungsfähig, aber bei erreichter Mündigkeit an seine Handlungen nicht gebunden. 
Besondere privilegia minorum gab es nicht. Später wurde das römische Recht ausgenommen, 
neuerdings aber stark umgewandelt, besonders durch das gemeinpreußische Gesetz vom 12. Juli 
1875, das dem BGB. zugrunde liegt. Danach sind Kinder geschäftsunfähig, Minderjährige 
über 7 Jahre beschränkt geschäftsfähig. Die privilegia minorum sind beseitigt. 
Besondere Termine gelten für die Verantwortlichkeit aus unerlaubten Handlungen 
(keine bis zu 7, bedingte bis zu 18, unbedingte nach 18 Jahren), sowie für die Fähigkeit zu 
einzelnen Handlungen (z. B. Testamentserrichtung, Konfessionswahl). 
Gewisse Rechtsfolgen knüpfte das deutsche Recht auch an ein hohes Alter. Meist 
gilt schon, wer über 60 Jahre ist, als „über seine Tage“ gekommen. Er kann sich unter Vor- 
mundschaft begeben, ohne damit seine Buße und sein Wergeld zu kränken (Sachsensp. I a. 42 
ʒ 1). Heute ist nicht das Greisenalter an sich, sondern nur die etwaige Altersschwäche Bevor- 
mundungsgrund. Nach dem BE#. tritt mit 60 Jahren Befreiung von der Vormundschafts- 
pflicht ein. 
III. Körperliche Gesundheit. Im älteren deutschen Recht war leibliche 
Rüstigkeit teils wegen des Zusammenhanges mit der Waffenfähigkeit, teils wegen der sinn- 
lichen Auffassung der Verfügungsmacht für die Privatrechtsstellung bedeutungsvoll. Völlige 
Krüppel waren nach Landrecht, Blinde, Taubstumme und Verstümmelte nach Lehnrecht erb- 
unfähig (Sachsensp. I a. 4). Die Verfügung über Rechte setzte leibliche Rüstigkeit voraus,
	        
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