Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 203 
gewohnheitsrecht ist. Das Privatfürstenrecht, in dem ehemals wegen der Auffassung der Landes- 
hoheit als Familienbesitztum Privatrecht und öffentliches Recht zusammenfloß, hat auch bei 
den landesherrlichen Familien seine öffentlichrechtlichen Bestandteile an das Staatsrecht ab- 
gegeben, für dieses jedoch eine hohe mittelbare Bedeutung behalten. Bei den standesherrlichen 
Familien erstreckt es sich nur auf Familien- und Gütewerhältnisse und unterliegt der Ein- 
engung oder Beseitigung durch Landesgesetz. Doch hat sich bisher das Landeerecht tieferer 
Eingriffe enthalten, so daß die wichtigsten besonderen Privatrechtsinstitute gleichmäßig für den 
ganzen hohen Adel fortgelten. 
Die Familien des hohen Adels sind als Häuser Genossenschaften mit eigener Per- 
sönlichkeit. Die Verfassung jedes Hauses wird durch sein Hausrecht bestimmt. Doch weisen 
seine Hausverfassungen gleichartige Grundzüge auf. Geborenes Haupt und als solches oberstes 
Organ der Familieneinheit ist der jeweilige „regierende Herr“. Geborene Vollgenossen und 
als solche zur Mitwirkung bei der Verfügung über Güter und Rechte des Hauses berufen sind 
die „Agnaten“ (die Schwertmagen, d. h. die Männer des Mannsstammes). Hausangehörige 
mit bestimmten Rechten und Pflichten sind auch die Töchter, Gemahlinnen und Witwen. 
Sonstige „Kognaten“ (Nachkommen von Döochtern) können anwartschaftliche Rechte haben. 
Dem Hause als solchem gebührt die schon besprochene Satzungsgewalt, eine besonders bei den 
regierenden Häusern ausgebildete Familiengewalt und das Eigentum am Hausgut, an dem 
aber Sonderrechte des Hauptes und der Glieder bestehen (vgl. unten § 71). 
Im hohen Adel hat sich das Prinzip der Ebenbürtigkeit erhalten, das sich im 
Privatrecht in dem Erfordernisse der Ebenbürtigkeit für eine vollwirksame Ehe äußert (zeit- 
weise stark erschüttert, aber gewohnheitsrechtlich wieder befestigt, durch die Wahlkapitulation 
v. 1742 a. 22 F’4 sanktioniert und heute unbestritten). Demgemäß hat eine Ehe zwischen 
einem Mitgliede des hohen Adels und einem unebenbürtigen Gatten als „Mißheirat“ (ungleiche 
Ehe, disparagium) trotz bürgerlicher und kirchlicher Gültigkeit nicht die vollen Ehewirkungen. 
Ist die Frau unebenbürtig, so tritt sie nicht in den Stand des Mannes ein, teilt nicht seinen 
Namen und sein Wappen und erlangt nicht die hausrechtlichen Ansprüche der Gemahlinnen 
und Witwen; die Kinder folgen ihrem Stande, werden nicht Mitglieder der väterlichen Familie 
und sind daher von der Teilnahme am Hausrecht und der Nachfolge in Hausgut ausgeschlossen. 
Ist der Mann unebenbürtig, so behält die Frau ihren Stand und Namen; die Kinder folgen 
auch hier der ärgeren Hand und gehören dem Hause der Mutter auch nicht als Kognaten an. — 
Ebenbürtig sind einander alle Mitglieder des deutschen hohen Adels (Deutsch. BA. a. 14), 
denen Mitglieder auswärtiger souveräner (auch entthronter) Häuser gleichstehen. Das Haus- 
recht kann aber (ein für allemal oder für den Einzelfall) die Ebenbürtigkeit erweitern. Eine 
nach Hausrecht standesgemäße Ehe ist vollwirksam und verschafft den Kindern hohen Adel, 
den auch ein bei sich strengere Grundsätze befolgendes Haus nicht anzweifeln kann. Während 
die kurfürstlichen und altfürstlichen Häuser sämtlich an der Beschränkung der Ebenbürtigkeit 
auf den hohen Adel festgehalten haben, fordern die neufürstlichen und reichsgräflichen Häuser 
vielfach nur niederen, meist aber alten, bisweilen freiherrlichen oder gräflichen Adel. Sehr 
bestritten aber ist, was subsidär nach gemeinem Privatfürstenrecht gilt. Man wird annehmen 
müssen, daß die gegenüber dem Sachsenspiegel (1 a. 16 §5 2) schon im Schwabenspiegel (c. 57) 
ausgesprochene Anschauung durchgedrungen ist, nach der im Zweifel nur hoher Adel eben- 
bürtig macht. Das Reichsgericht aber verneint ein gemeines Gewohnheitsrecht dieses Inhalts 
(XXXII Nr. 38) und erklärt nur bürgerliche Personen für zweifellos unebenbürtig (II Nr. 39). 
Eine Ehe, bei der vertragsmäßig die vollen Ehewirkungen ausgeschlossen sind, heißt 
Ehe zur linken Hand (morganatische Ehe, matrimonium ad legem Salicam). Sie ist 
heute nur zwischen einer Person von hohem Adel und einer ihr unebenbürtigen Person mög- 
lich. Auch kann der Vertrag nur die schon kraft Rechtssatzes eintretenden Minderwirkungen 
feststellen und die zum Ersatz gewährten Rechte von Frau und Kindern (Namen, Vermögens- 
ansprüche usw.) regeln. 
Literatur: A. W. Heffter, Die Sonderrechte der souveränen und vormals reichsständischen 
Häuser Deutschlands, 1871. H. v. Schulze-Gävernit in dieser Enzykl., 5. Aufl. S. 1349 ff. 
Rehm, Modernes Fürstenrecht, 1904; Prädikat= und Titelrechte der deutschen Standesherren, 
1905. — Ausgabe der Hausgesetze der regierenden Fürstenhäuser von demselben, 3 Bobe.
	        
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