Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 2060 
III. Bauernstand. Der Bauernstand, zu dem alle Bewohner des platten Landes, 
die den Landbau mit eigener Hand als Nahrungszweig treiben, gerechnet werden, war der 
einzige Stand, in dem sich in der neueren Zeit der Unterschied freier und unfreier Geburt 
erhielt. Die mehrfach abgestuften angeborenen Abhängigkeitsverhältnisse (Vogteipflichtigkeit, 
Hörigkeit, Leibeigenschaft) mit den durch sie begründeten Rechtsbeschränkungen (Gebundenheit 
an die Scholle, Heiratsbeschränkungen, Gesindezwang, Leibzins und Abgaben vom Nachlaß) 
wurden seit dem Ende des 18. Jahrhunderts (völlig in Preußen 1807, in Mecklenburg 1820, 
in Hannover erst 1833) beseitigt. Seitdem wurde der Bauernstand ein freier Berufsstand. 
Auch die für den ganzen Bauernstand vielfach geltenden partikularrechtlichen Sondervorschriften 
(z. B. Wechselunfähigkeit, Bindung gewisser Verträge an gerichtliche Form) sind allmählich 
verschwunden. Das im Bauernstande ausgebildete Sonderrecht der Bauerngüter ist, soweit 
es fortbesteht, kein Standesrecht mehr. 
§ 25. Die Berufsstände. Für die öffentlichen Berufsstände, die Beamten, Militär- 
personen und Geistlichen, gelten teils nach Reichsrecht, teils nach Landesrecht einzelne privat- 
rechtliche Besonderheiten, die mit ihrem vorzugsweise öffentlichen Sonderrecht zusammen- 
hängen. Die gewerblichen Berufsstände dagegen sind zugleich Träger umfassender privatrecht- 
licher Sonderrechte; so ist für das Handelsrecht die Eigenschaft als Kaufmann, für das Gewerbe- 
recht die Eigenschaft als Gewerbetreibender von grundlegender Bedeutung, während weitere 
Rechtsunterschiede sich an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gattung von Gewerbtreibenden 
und an die Stellung als Gehilfe (Handlungsgehilfe, Handwerksgeselle, Fabrikarbeiter usw.) 
oder Lehrling knüpfen. 
§ 26. Einfluß der Ehre. Die Beziehungen der Ehre zum Recht prägten sich bei den 
Germanen von alters her in den beiden Grundgedanken aus, daß einerseits aus der Persön= 
lichkeit Ehre fließt, andererseits unversehrte Ehre Bedingung der vollen Persönlichkeit ist. 
Auf dem ersten Gedanken beruht neben dem Satze, daß die „Echtlosigkeit“ des Friedlosen mit 
der Rechtsfähigkeit zugleich alle Ehre zerstört, das mittelalterliche Institut der „Rechtlosigkeit 
kraft dessen eine Minderwertung der rechtlichen Persönlichkeit auch geminderte Ehre bedeutet 
und insbesondere den Mangel der vollen Gerichtsfähigkeit, des Wergelds und der echten Buße 
bewirkt. Die Rechtlosigkeit war die Folge der Verurteilung zu einer schimpflichen (durch Ge- 
stattung eines leiblichen Eingriffes die Mannheiligkeit entziehenden) Strafe, trat aber auch 
wegen Berufsmakels für die ein „unehrliches“ Gewerbe betreibenden Personen (Mietskämpfer, 
fahrendes Volk, später den Henker) und deren Kinder und wegen Geburtsmakels für die un- 
ehelich Geborenen ein. Aus dem zweiten Gedanken ergibt sich, daß „Ehrlosigkeit“ mit dem sitt- 
lichen Wert der Person zugleich ihre rechtliche Geltung mindert. Die Aberkennung der Ehre 
kraft Urteils, die mit der Rechtlosigkeit kraft Urteils verbunden ist, aber auch als besondere Strafe 
wegen jeder einen Treubruch enthaltenden Handlung („wente alle ere van truwe kompt“) 
verhängt wird, bewirkt Unfähigkeit zu allen das Vertrauen der Genossen fordernden Rechten 
(Reinigungseid, ÄAmter, Mitgliedschaft in den Verbänden ehrenhafter Männer). Auch die 
bloße Bescholtenheit (Verlust des guten Rufes) wird, da nur der Unbescholtene „vollkommen 
an seinem Recht“ ist, im Einzelfalle erheblich. Endlich entspricht jedem Stande und jeder Ge- 
nossenschaft eine Sonderehre, von deren Unversehrtheit die rechtliche Geltung in diesem be- 
sonderen Kreise abhängt (Ritter-, Lehns-, Bürger-, Kaufmanns-, Handwerksehre usw.). 
Nach der Rezeption wurde das römische Ehrenrecht als gemeines Recht ausgegeben, drang 
aber nicht durch, sondern bewirkte nur eine Umbildung der deutschrechtlichen Institute. Die 
Echtlosigkeit ging im bürgerlichen Tod auf und verschwand mit ihm (oben § 20 II). Aus der 
Verschmelzung der Rechtlosigkeit kraft Urteils mit der Aberkennung der Ehre entwickelte sich 
der Verlust der bürgerlichen Ehre, der nach längeren Schwankungen wieder an ein Strafurteil 
gebunden wurde, jedoch bald an die entehrende Strafart, bald an die Ehrlosigkeit der Straf- 
tat geknüpft blieb. In den neueren Strafgesetzbüchern wurde einerseits die bloße Ehrschmäle- 
rung durch Verlust einzelner Ehrenrechte, andererseits die Aberkennung der bürgerlichen Ehren- 
rechte auf Zeit eingefügt. Die Rechtlosigkeit kraft Berufs- oder Geburtsmakels behielt man 
als „Anrüchigkeit“ bei. Die Zahl der unehrlichen Gewerbe, gegen die namentlich die Zünfte
	        
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