208 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Kapitel II. Die Verbandspersönlichkeit.
8 2v. Begriff und Wesen. Verbandspersönlichkeit ist die einem menschlichen Verbande
als einem von der Summe der Teile verschiedenen einheitlichen Ganzen zukommende Rechts-
subjektivität.
Das deutsche Recht erkannte von je Verbänden Rechte und Pflichten zu. Lange
indes blieb die Verbandssubjektivität in ihren sinnlichen Trägern stecken. Bei den genossen-
schaftlichen Verbänden erschien die Gesamtheit in sichtbarer oder vorgestellter Versammlung
ohne Unterscheidung ihrer Einheit und Vielheit als Subjekt von Gesamtrecht, bei den herrschaft-
lichen Verbänden war der Herr ohne Unterscheidung seiner Stellung als Verbandshaupt und
als Individuum Subjekt von Herrenrecht. Eine Fortbildung trat im deutschen Mittelalter
dadurch ein, daß Verbandseinheiten von ihren sinnlichen Trägern unterschieden und als selb-
ständige Personen anerkannt und behandelt wurden. Genossenschaften verdichteten sich zu
Körperschaften, die als einheitliche Ganze mit unsichtbarer Lebenseinheit ihren Mitgliedern
gegenübertraten. So zuerst die Stadt, dann Gilde, Zunft, Ständekörper usw. Herrschafts-
verbände vergeistigten sich zu Anstalten, bei denen das jeweilige Haupt die dauernde unsicht-
bare Lebenseinheit des Ganzen nur darzustellen hat. So zuerst die Kirchen, dann die obrig-
keitlich umgebildeten Territorien und weltlichen Anstalten.
Die Entwicklung war unvollendet, auf dem Lande kaum begonnen, als mit der
Rezeption die romanistisch-kanonistische Korporationstheorie einzog. Sie stand auf dem
Boden des dem kümmerlichen Verbandsleben von Byzanz angepaßten Justinianischen Rechts,
für das alle Rechtssubjektivität der Verbände nur auf einer durch staatliches Privileg ver-
mittelten Fiktion beruht. Durch Einfügung germanischer Rechtsgedanken schon in Italien
stark verwandelt, wurde das römische Gedankensystem auch in Deutschland zunächst unvoll-
kommen durchgeführt und schonend angewandt. Mehr und mehr aber wurde es im Sinne
der reinen Fiktionstheorie, die in der Verbandsperson ein künstliches, willens= und handlungs-
unfähiges, ewiger Bevormundung bedürftiges Individuum erblickt, verschärft. Diese Theorie
diente zugleich als Handhabe der von der aufstrebenden Staatsgewalt erstrebten Entkräftung
und endlichen Vernichtung des selbständigen Lebens aller engeren Verbände. Doch wurde
das germanische Verbandsrecht bei uns auch jetzt nicht völlig erstickt und wahrte seine Keimkraft.
Eine Bundesgenossin entstand ihm in der naturrechtlichen Gesellschaftslehre, die freilich alle
Verbandsexistenz aus Verträgen der Individuen herleitete, aber doch jeder Gesellschaft ein
eigenes Leben und statt der persona kicta eine als kollektive Einheit vorgestellte „moralische“" Per-
sönlichkeit zuschrieb. Sie wirkte auf die Gesetzbücher, besonders das Preußische Landrecht, ein
und bereitete die Wiederaufnahme der deutschrechtlichen Gedanken vor.
Die Wiedererstehung des germanischen Rechts vollzog sich mit der
allseitigen Erneuerung des Verbandslebens im 19. Jahrhundert. Allerdings schien eine Zeit-
lang eine romanistische Gegenströmung siegen zu sollen, die in der Lehre von der „juristischen
Person“ den Begriff der persona ficta mehr oder minder schroff wiederherstellte. Von anderer
Seite wurde in folgerichtigem Individualismus der Versuch gemacht, die Verbandspersönlichkeit
überhaupt aus der Welt zu schaffen. Allein mehr und mehr ist die in der Theorie zuerst von
germanistischer Seite entwickelte Auffassung durchgedrungen, daß die Persönlichkeit der Ver-
bände nur der rechtliche Ausdruck ihrer wirklichen Wesenheit ist. Sie liegt dem gesamten Auf-
bau unseres öffentlichen Rechts zugrunde, durchdringt aber auch die moderne Ausgestaltung
des privaten Verbandsrechtes in Gesetzgebung und Praxis. Die Vorschriften des BGB. über
„juristische Personen“ stehen mit ihr im Einklang.
Ihrem Wesen nach ist somit die juristische Person eine als Subjekt anerkannte reale Ver-
bandseinheit. Die Persönlichkeit der Verbände ist so gut wie die Persönlichkeit der Individuen
als Attribut einer nur aus ihren Wirkungen erkennbaren Lebenseinheit sinnlich nicht wahr-
nehmbar, aber sie ist so wenig wie die Einzelpersönlichkeit eine Fiktion, sondern ein durch Ab-
straktion herausgehobener Wirklichkeitsinhalt. Zum Unterschiede jedoch vom einzelnen Menschen,
für den das Recht nur eine äußere Lebensordnung bedeutet, ist der Verband auch in seinem
inneren Leben rechtlicher Ordnung zugänglich. Denn als ein sozialer Organismus, dessen
Teile frei wollende Einzelwesen sind, ist er ein Gemeinwesen, dessen inneres Leben sich zugleich