Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

224 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
II. Wertpapiere sind Urkunden, mit denen ein Recht seinem Bestande nach ver— 
knüpft ist; das verbriefte Recht wird durch die Urkunde nicht nur bewiesen, sondern ist in ihr 
gewissermaßen verkörpert. 
Die Wertpapiere wurzeln in der germanischen Geschäftsurkunde (oben 8 13), durch 
deren Geben und Nehmen das beurkundete Recht begründet wurde. Aus ihr wurde ein Wert- 
papier, wenn auch der fernere Bestand des Rechtes an die Urkunde geknüpft, insbesondere die 
Ubertragung des Rechts von der Ubergabe und die Ausübung von der Vorzeigung der Urkunde 
abhängig gemacht wurde. Später entwickelten sich auch nichtkonstitutive Urkunden (z. B. Aktien) 
zu Wertpapieren. Bei manchen Wertpapieren ist die translative oder die exerzitive Funktion 
unvollkommen ausgebildet. 
Die Wertpapiere zerfallen in Rektapapiere, Orderpapiere und Inhaber- 
papiere, je nachdem sie auf den Namen eines bestimmten Berechtigten und nur auf ihn 
oder auf den Namen eines Berechtigten und außerdem auf jede andere Person, die von ihm 
Order haben werde, oder überhaupt nicht auf einen Namen, sondern auf jeden Inhaber oder 
UÜberbringer (porteur) lauten. Die Orderklausel, die schon in fränkischer Zeit begegnet, hatte 
in Deutschland die Form „oder dem getreuen Inhaber“, wurde aber mehr und mehr in die 
romanische Form gegossen; bei manchen Wertpapieren (Wechsel, Namenaktien) versteht sie 
sich von selbst. Das Inhaberpapier kommt im langobardischen Recht seit dem 9. Jahrhundert 
als alternatives, seit dem 10. Jahrhundert als reines Inhaberpapier, in Deutschland seit dem 
13. Jahrhundert in beiderlei Gestalt vor; doch ist das alternative Inhaberpapier allmählich 
verkümmert. Rektapapiere, Orderpapiere und Inhaberpapiere weisen eine Stufenfolge in 
der Steigerung des Wertpapiergedankens auf. 
Je nach der Beschaffenheit des verkörperten Rechts unterscheidet man personen- 
rechtliche, sachenrechtliche und obligationenrechtliche Wertpapiere; zur 
ersten Gruppe gehören die Mitgliedschaftspapiere, zur zweiten die liegenschaftsrechtlichen Hypo- 
theken-, Grundschuld= und Rentenschuldbriefe und die fahrnisrechtlichen Warenpapiere, zur 
dritten die Forderungspapiere (in Form von Schuldscheinen oder von Anweisungen, auf be- 
stimmte oder unbestimmte Geldsummen oder auf andere Leistungen). 
Immer aber folgt das Recht aus dem Papier dem Recht am Papier: 
das Eigentum am Papier bedeutet zugleich Rechtszuständigkeit, Nießbrauch oder Pfandrecht 
am Papier Nießbrauch oder Pfandrecht am verbrieften Recht, Besitz des Papiers Möglichkeit 
der Rechtsausübung. Somit entscheiden die für das Recht am Papier maßgebenden Regeln 
des Mobiliarsachenrechts zugleich über das Recht aus dem Papier, werden aber gerade des- 
halb bei den einzelnen Arten der Wertpapiere mannigfach abgewandelt. 
Das vollkommene Wertpapier spielt schon bei der Begründung des Rechts eine 
wesentliche Rolle. Das Recht entsteht erst in und mit dem Papier. Außerdem aber ist nach 
der geschichtlich begründeten Vertragstheorie erforderlich, daß das Papier weggegeben und 
vom papiergemäß Berechtigten genommen ist. (Anders nach der Kreationstheorie, nach der 
die Ausstellung der Urkunde das Rechtsverhältnis schafft.) 
Das Papier ist ferner für die Ubertragung des Rechts unentbehrliches Mittel. 
Beim Rektapapier aber muß, damit das Eigentum mit der Ubergabe übergehe, ordnungs- 
mäßige Rechtsabtretung hinzukommen. Beim Orderpapier genügt ein auf dem Papier selbst 
in Schriftform vollzogener, abstrakt wirkender Übertragungsvermerk, das „Indossament“, das 
auch in blanco lauten kann. Beim Inhaberpapier reicht die Übergabe des Papiers mit über- 
eignungswillen aus. Ahnlich verhält es sich mit Nießbrauchs= und Pfandbestellung. 
Die Ausübung des Rechts fordert beim vollkommenen Wertpapier Vorzeigung des 
Papiers („Präsentationspapier") und ist bei vollständiger Erfüllung durch Aushändigung des 
Papiers bedingt („Einlösungspapier“). Ist daher das Papier abhanden gekommen oder ver- 
nichtet, so kann das Recht nicht ausgeübt werden. In erheblichem Umfange jedoch wird durch 
Kraftloserklärung auf Grund eines gerichtlichen Aufgebotsverfahrens geholfen (Entkörperun 
des Rechts und erforderlichenfalls Wiederverkörperung in neuer Urkunde). 
Der Besitz des Papiers ermöglicht wirksame Ausübung des Rechts durch den Nicht- 
berechtigten. Beim Rektapapier muß freilich der Besitzer nachweisen, daß er der be- 
nannte Berechtigte ist oder von diesem ein Recht herleitet oder Vollmacht hat. Vielfach aber
	        
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