Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 225 
ist der Aussteller nur berechtigt, nicht verpflichtet, die Legitimation des Vorzeigers zu prüfen 
(„Legitimationspapier"). Beim Orderpapier genügt die Legitimation des Besitzers durch 
eine äußerlich formgerechte Kette von Indossamenten. Beim Inhaberpapier ist ohne weiteres 
jeder Inhaber legitimiert. 
Literatur: Gierke , DPRlIleS-BrunnerZurRechtsgeschtchtedertöm 
u. german. Urkunde, Bd. I, 1880; Die Wertpapiere, in Endemanns Handb. des Handelsrechts II 
140 ff. G. des Marez;, a lettre de foire à 7Fp#res au Xllle siscle, 19001. H. O. Lehmann, 
Zur Theorie der Wertpapiere, 1890. A. Bruschettini, Trattato dei titoli al portatore, 
1898. Jacobi, Die Wertpapiere des bü ürgerlichen Rechts, 1901:; dazu Pappenheim, Krit. 
B. Schr. XLIV 334 ff. Jacobi, Das Wertpapier als Legitimationsmittel, 1906. Gierke, 
D. P. R. II ## 108—112. Hübnersss. 
Kapitel II. Gewere, Besitz und Grundbuchrecht. 
§s 42. Die Gewere. Das deutsche Sachenrecht wurde und wird vom Gedanken der 
Publizität beherrscht. Jedes Herrschaftsrecht an einer Sache muß, um voll wirksam zu werden, 
in offensichtliche Erscheinung treten. Die gehörige sachenrechtliche Erscheinungsform aber ist, 
bis sie sich etwa als bloßer Schein erweist, mit selbständigen Rechtswirkungen ausgestattet. 
Allgemeine sachenrechtliche Erscheinungsform ist im deutschen Mittelalter die Gewere 
(französisch Saisine, englisch saisin). Das Wort Gewere, das ursprünglich Bekleidung (vom 
got. vasjan, althochdeutsch werjan) heißt und daher lateinisch mit vestitura (investitura) wieder- 
gegeben wird, bedeutet zunächst die als Bekleidung mit der Sachherrschaft vorgestellte (daher 
auch durch Bekleidungssymbole versinnbildlichte) Einführung in die Sachherrschaft, dann den 
hiermit hergestellten Zustand und endlich überhaupt jedes an einer Sache begründete Herr- 
schaftsverhältnis, das als formelles Rechtsverhältnis anerkannt ist. Die Gewere ist also das 
Kleid, die allgemeine Furm der Sachenrechte, zugleich aber ein vom materiellen Sachenrecht 
verschiedenes selbständiges Rechtsverhältnis, mit dem sich ein rechtswirksamer Schein ver- 
knüpft. Sie zehrt nicht (wie Albrecht meinte) das materielle Sachenrecht ganz auf; viel- 
mehr steht dieses selbständig dahinter und bricht den Schein, wenn er sich als trügerisch er- 
weist. Sie ist aber auch nicht (wie Heusler annimmt) nur das dem Recht entsprechende 
tatsächliche Gewaltverhältnis (possessio), sondern (wie namentlich Huber gezeigt hat) die 
als Rechtsverhältnis wirksame Erscheinungsform des Sachenrechts. 
Darum konnte der Begriff der Gewere einem mannigfachen Differenzierungs- 
prozeß unterliegen. 
Gewere hat zunächst, wer sich tatsächlich als Herrn einer Sache erweist, indem er sie 
nach Art selbständiger Rechtsausübung (nicht bloß als unselbständiger Verwalter oder Haus- 
genosse) beherrscht. Das ist leibliche Gewere (hebbende, brukende gewere, saisine 
de fait). Schon hier aber spalten sich Liegenschaftsrecht und Fahrnisrecht. An Liegenschaften 
dußert sich die Gewere im „Nutzen und Brauchen“; Gewere hat, wer das Gut „in nutz und 
gelde“ hat, Früchte daraus bezieht, Zins davon empfängt, Dienste davon entgegennimmt oder 
es sonst benutzt (z. B. das Haus bewohnt). Darum ist hier mehrfache Gewere möglich; über 
der „lediglichen“ Gewere des unmittelbaren Besitzers kann eine Gewere des Zins= oder Dienst- 
herrn bestehen. An Fahrnis dagegen äußert sich die Gewere im „Haben“, in leiblichem Gewahr- 
sam. Doch erstreckt sich die Gewere an einem Grundstück mittelbar auf die Fahrnis „in der 
Were“, soweit an ihr nicht besondere Gewere besteht. Und das liegenschaftliche Geweresystem 
wird auf Vermögensganze (z. B. die Erbschaft) und insoweit auch auf bewegliche Sachen als 
Vermögensbestandteile erstreckt. 
Das Liegenschaftsrecht sonderte sich weiter vom Fahrnisrecht durch die Entwicklung einer 
ideellen Gewere (saisine de droit), die unabhängig von tatsächlicher Herrschaft dem 
zugeschrieben wird, der kraft offenkundiger Berufung als Herr der Sache erscheint. Solche 
Gewere gibt der Erbgang (le mort saisit le vif). Ebenso das Urteil. Sodann vor allem die 
feierliche und förmliche Auflassung (unten § 44). Endlich wird dem gewaltsam Entwerten trotz des 
Verlustes der leiblichen Gewere so lange, bis er sich verschwiegen hat, noch Gewere zugesprochen. 
Die durch Auflassung erworbene Gewere steigert sich zur rechten Gewere, wenn 
sie Jahr und Tag ohne gerichtliche Anfechtung bestanden hat (Sachsensp. II a. 44 F 1). 
Encyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band I. 15
	        
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