J. Kohler, Rechtsphilosophie und Universalrechtsgeschichte. 21
auch wenn er beginnt, die Natur für seine Zwecke einzufangen und sie sich zu unterwerfen. Zu-
nächst entsteht ein gewaltiger Zusammenstoß: es ist ein furchtbares Unrecht, in die Selbst-
herrlichkeit der Natur einzugreifen, den Baum zu fällen, den Wald zu roden; die Waldgeister
erseufzen darob. Bald aber weiß sich der Mensch aus diesem Zwiespalt zu helfen; die religiösen
Vorstellungen weiß er nach dem Bedürfnis zu gestalten: der Geist wird versöhnt, oder er wird
gar dem Menschen dienstbar gemacht, oder auch ein neuer Geist wird in die Gebiete des Kultur-
lebens verpflanzt. Es gelingt ihm, Geister einzufangen und zu seinen Schützern zu gestalten;
so herrscht auf der ganzen Südsee das Institut des matakau, indem der Pflanzer zum Schutze
seiner Früchte einen Geist an den Baum bannt, der dem Diebe Tod und Verderben droht.
Damit nimmt die Beziehung zwischen dem Menschen und dem Kulturland eine besondere
Bedeutung an; es ist ein Weiheverhältnis, und dieses leitet das Eigentum ein. Das Eigen-
tum beruht ursprünglich auf einer dämonistischen Verknüpfung der Menschheit mit der Natur.
Daher auch die Weihehandlungen, von denen die wichtigsten Betätigungen des Grundeigners,
namentlich auch der Ackerbau, umgeben sind 1.
So entsteht das Vermögen und das Vermögensrecht: das Vermögen ist die Gesamtheit
der Naturgüter, welche die Menschheit ihren Zwecken dienstbar gemacht und dadurch zu Hilfs-
mitteln der Kultur gestaltet hat. Seine Art hängt aber wesentlich zusammen mit der Gruppierung
und Organisation der Menschheit.
§ 14. Teilung der Welt. Allgemeines.
Die Menschheit geht von dem Kollektivismus, d. h. von dem Zustand des Gesamtseins,
zum Individualismus, d. h. zum Zustand des Einzelseins, über?2, allerdings so, daß auch im Einzel-
sein das Gesamtsein stets weiterwirkt, nur daß das Einzelsein hierdurch nicht mehr vernichtet
und aufgesogen wird. Darin liegt einer der Hauptfortschritte der Kultur: aus den festen Massen,
aus denen die Menschheit zuerst besteht, ringen sich Einzelne zutage und treten gegenüber dem
Ganzen als Einzelne mit Einzelrechten hervor. Der Einzelne braucht sich nicht mehr völlig dem
Zuge der Gesamtheit zu fügen; er kann neue Bahnen einschlagen, sein Leben neu gestalten und
dadurch mächtig zum Fortschritt des Ganzen beitragen. Erst mit der Entwicklung des Einzel-
seins ist die moderne Kultur zum Dasein gekommen.
Dies ist maßgebend für die Gestaltung des Vermögensrechts. Solange die Menschheit
ein Gesamtdasein führt, wird auch ein Gesamtrecht an den äußeren Gütern bestehen, und der
Einzelne wird sie in dieser Gesamtheit, und nur in ihr, genießen und benutzen können. Nun tritt
die Sonderung der Einzelwesen ein und mit dieser Sonderung eine Zerschlagung des Gesamt-
vermögens zum Einzelvermögen: das Einzeldasein mit seinen in der Gesamtkultur waltenden
besonderen Bestrebungen verlangt auch ein besonderes, seinen eigenen Bestrebungen dienendes
Vermögen ?.
Mit der Anerkennung der Einzelpersönlichkeit ist zugleich ihr besonderer Schutz und der
Schutz ihrer Einzelstellung hervorgetreten; es entwickelt sich neben dem Privatvermögenerecht
das Recht der Persönlichkeit. Daneben behält aber auch der Kollektivismus manche Rechte,
und es bleiben neben den Einzelpersonen allüberall soziale Einheitspersonen mit Einheits-
rechten bestehen — die sogenannten juristischen Personen, entweder die althergebrachten oder
neue willkürlich geschaffene. Das Recht der juristischen Person ist daher nichts Künstliches, es
beruht auf den Grundlagen des Rechts; es ist älter als das Recht der Einzelperson 4.
§ 15. Teilung der Welt. Besonderes.
Soweit wir zurückgehen, finden wir das Vermögensrecht ursprünglich als gemeinsames.
auch der Gedanke, daß, was jemand erarbeitet, was er fängt und erbeutet, sein gehört, ist den
1 Dies hat eine utilitarische Rechtsgeschichte ganz verkannt, eine positivistische Rechtsgeschichte
völlig icnoriert. Man vgl. die Bedas und die Grihyasutras ber Hindus.
* Bgl. darüber meinen Aufsatz „Kollektivismus und Individualismus in der Geschichte“ in
der Zeitschr. f. Sozialwissenschaft 1 4 261 f. und meine Schrift „Recht“ S. 8f.
* Lehrbuch der Rechtsphilosophie . 81 f.
* Einführung in die Rechtswissenschaft S. 9 und 33.