266 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Erwerb von Sachenrecht dingliche Wirksamkeit empfangen kann (oben § 45), sodann die Miete
und Pacht von Grundstücken durch Besitzeinräumung ein Stück sachenrechtlicher Kraft gewinnt
(unten § 94 III), endlich der Fahrnisbesitz jedem persönlichen Recht in Ansehung der Sache
eine gewisse dingliche Festigkeit verleiht (oben § 43). — Je nachdem ferner bei der Leistung die
Individualität des Gläubigers oder des Schuldners wesentlich ist oder nur nebenbei in Betracht
kommt oder überhaupt keine Rolle spielt, ist die Forderung oder Schuld an die Person ge-
bunden oder von ihr löslich oder ganz unpersönlich angelegt. Darum konnte das deutsche Recht
eine Sondernachfolge in Forderung und Schuld ausbilden (§ 88), aber auch (besonders bei den
Wertpapieren) Schuldverhältnisse mit vorläufig unbestimmten Subjekten anerkennen. Schließ-
lich erscheinen so im Umfange ihrer Vergegenständlichung Forderungen und Schulden als un-
körperliche Vermögensbestandteile und Vermögenslasten („Aktiva und Passiva“). Dies wird
besonders wichtig für die Konstruktion der Sondervermögen, deren objektive Einheit gewisse
Forderungen und Schulden einschließt. Darum kann ja auch, wie sich gezeigt hat, im Begriff
der dinglichen Schuld das Schuldverhältnis völlig in ein rein sachenrechtliches Verhältnis
übergehen.
Literatur; v. Amira, Nordgermanisches Obligationenrecht, 1882 u. 1895. P. Punt-
schart, Schuldvertrag u. Treugelöbnis in sächs. R. des Mittelalters, 1996. Hübner #&K 7 ff.
v. Sch werin S. 62 ff. — Stobbe, Zur Geschichte des deutsch. Vertragsrechts, 1855. Witte,
B¾ f. R. G. VI 448 ff. R. Loening, Der Vertragsbruch und seine Folgen im deutsch. R., 1876.
ohm, Des Recht ber bEzeichliesung, 1875, S. 34 ff.; Der Begriff des Forderungsrechts, Z. f.
d. P. u. ö. 1ff. — v. Brünneck, Über den Ursprung des sog. jus ad rem, 1869.
5 85 b 1, #. Geschichte des jus ad rem (in Festschr. f. Gierke), 1911. — Gierke,
66 ff.
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§ 87. Haftumg für Schuld. Die Schuld als solche gewährt, da sie sich in einem recht-
lichen Sollen erschöpft, keine Herrschaft über die Person oder das Vermögen des Schuldners.
Damit sie mit Macht bekleidet werde, muß Haftung hinzutreten. Haftung ist Unter-
werfung unter die Zugriffsmacht dessen, dem nicht geleistet wird, was ihm gebührt. Der
Gläubiger kann sich an das, was ihm haftet, halten, um sich Genugtuung oder Ersatz zu ver-
schaffen. Die Haftung ist Gebundenheit (Verstrickung, Verpflichtung), Einstehen oder Ein-
gesetztsein, Gewährschaft oder Sicherung für die Schuld. Haftungsgegenstand kann eine Sache,
eine Person oder ein Vermögen sein. Es ist möglich, daß der Schuldner selbst, aber auch,
daß ein anderer für ihn mit seiner Sache, seiner Person oder seinem Vermögen haftet.
Im germanischen Recht wurde die Unterscheidung zwischen Schuld und
Haftung, die auch im griechischen Recht begegnet, während bei den Römern im Begriff
der Obligation frühzeitig ihre Verschmelzung vollzogen wurde, scharf durchgeführt und lange
festgehalten. Keineswegs ergab sich aus der Schuld ohne weiteres auch Haftung. Aller-
dings war die aus personenrechtlicher Verbundenheit entspringende unselbständige Schuld von
je vermöge der Zwangsbefugnisse der Verbandsgewalt mit Haftung verknüpft. Und hinter der
altesten selbständigen Schuld, der Bußschuld, stand die durch die Friedlosigkeit vermittelte strafrecht-
liche Haftung, die als äußerstes Zwangsmittel immer dem ungehorsamen Schuldner drohte. Allein
ein selbständiges Haftungsverhältnis mit fest begrenztem Inhalt wird nur durch rechtsgeschäft-
liche Übernahme begründet. Ein solches Haftungsgeschäft war erforderlich, um die reine
Versprechensschuld erzwingbar zu machen. Zur Eingehung eines Haftungsgeschäftes wurde
aber auch der verurteilte Bußschuldner bei Vermeidung der Friedlosigkeit verpflichtet (Urteils-
erfüllungsgelübde).
Damit differenzierten sich die Haftungsarten. Der Begründung von Sachhaftung
diente die Pfandsetzung, von der im Sachenrecht die Rede war. Die Einsetzung der Person für
die Schuld erfolgte in ältester Zeit durch die Vergeiselung, die reale Hingabe in die Gewalt
des Gläubigers unter Ausbedingung des Verfalles von Leib und Leben bei Nichterfüllung
der Schuld. Als eine nur ideelle Vergeiselung entwickelte sich die Bürgschaft (Leibbürgschaft),
die nicht nur für fremde, sondern auch für eigene Schuld (als Selbstbürgschaft) übermommen
werden konnte. Das Formalgeschäft, das leibliche Haftung begründete, war das unter Ver-
pfändung der Treue mit Handreichung geleistete Treugelübde. Die Zugriffsmacht des Gläu-
bigers, die sich ursprünglich auch hier auf Leib und Leben erstreckte, wurde allmählich begrenzt.
Als Zwangsmittel wurde entweder die Schuldknechtschaft, die sich später zur Schulddienstbar-