Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

268 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
II. Die Schuld war nach deutschem Recht gleichfalls übertragbar. Die Schuldüber- 
nahme ging in das moderne Recht über; sie kann nach BG. entweder durch Vertrag zwischen 
dem Gläubiger und dem neuen Schuldner oder durch Vertrag zwischen dem alten und dem 
neuen Schuldner mit hinzutretender Genehmigung des Gläubigers erfolgen. Dabei findet 
eine wirkliche Sondernachfolge statt, so daß das Subjekt wechselt, während die Schuld die- 
selbe bleibt und nur die Haftung sich ändert. Möglich ist aber auch eine Schuldmitübernahme, 
bei der der neue Schuldner neben den alten (bis zu dessen Entlassung durch den Gläubiger) 
tritt. Besondere Fälle der Schuldnachfolge begegnen bei der Ubertragung eines ganzen Ver- 
mögens (notwendige Mitübernahme mit Beschränkung der Haftung auf das Vermögen) oder 
eines Sondervermögens (vgl. über die Übernahme der Handelsschulden das Handelsrecht). 
Literatur: Hübner ### 78—79. Brunner, Forsch. S. 602 ff. G. Buch, Die über- 
tragbarkeit von Forderuugen im deutsch. mittelalt. R. (Unters. H. 113), 1912. B. Delbrück, Die 
Übernahme fremder Schulden, 1853. trohal, Schuldübernahme, Jahrb. f. D. LVII 230 ff. 
Gierke, Schuldnachfolge u. Haftung, insbesondere kraft Vermögensübernahme (in Festschr. f. 
v. Martitz), 1911. 
§ 89. Forderungs= und Schuldgemeinschaft. Das deutsche Gemeinschaftsprinzip er- 
möglichte Schuldverhältnisse mit verbundenen Subjekten. 
I. Forderungsgemeinschaft. Forderungen genossenschaftlicher Zuständigkeit 
und Forderungen zur gesamten Hand erhielten sich nach der Rezeption neben der römischen 
Korrealforderung, bei der jeder Mitgläubiger für sich die ganze Leistung fordern kann. Heute 
bildet die Forderungsgemeinschaft zur gesamten Hand die Regel; bald so, daß jeder die 
Leistung an alle gemeinschaftlich fordern kann (BGB. F 432), bald so, daß nur alle zusammen 
forderungsberechtigt sind (z. B. als Gesellschafter oder Miterben). 
II. Schuldgemeinschaft. Eine genossenschaftliche Schuldgemeinschaft besteht, 
wenn für die Schulden eines rechtsfähigen Vereins die Mitglieder als einzelne (wie subsidiär 
bei eingetragenen Genossenschaften mit unbeschränkter oder beschränkter Haftpflicht) mithaften. 
Eine Schuldgemeinschaft zur gesamten Hand wurde nach deutschem Recht durch Eingehung 
einer Verbindlichkeit mit gesamter Hand oder mit der Klausel „sammt und sonders“ (besonders 
regelmäßig von Mitbürgen) begründet. Dabei kann nach manchen Quellen der Gläubiger 
sich zunächst an jeden Mitschuldner nur für seinen Anteil und erst wegen des Ausfalls an die 
anderen halten; nach anderen Quellen haftet jeder dem Gläubiger auf das Ganze, im Ver- 
hältnis zu den Mitschuldnern aber nur auf seinen Anteil. Beide Formen erhielten sich neben 
der römischen Korrealschuld und Solidarschuld und verdrängten diese in manchen Partikular- 
rechten. Die „Gesamtschuld“ des B#B. ist zwar nach außen Korrealschuld, nach innen aber 
deutsche Schuldgemeinschaft. Eine eigentümliche Verbindung einer Schuld zu gesamter Hand 
mit Korrealschuld der einzelnen ist im Gesellschaftsrecht und besonders im Handelsgesellschafts- 
recht ausgebildet. 
Literatur: Hübner K 80—81. Gierke, Schuld und Haftung, S. 109 ff. 
Kapitel II. Schuldverhältnisse aus Verträgen. 
§ 90. Der schuldrechtliche Vertrag. Schuldverhältnisse werden nach deutschem Recht 
vor allem durch Vertrag (Gedinge) begründet. Die schuldbegründende Kraft des Vertrages 
beruht auf der Heiligkeit des Versprechens; was man einem anderen zu leisten versprochen 
hat, das soll man ihm leisten. Das deutsche Recht legt daher das Hauptgewicht auf das 
schuldnerische Versprechen und läßt den Vertrag durch dessen Angebot und Annahme zustande 
kommen; der umgekehrte Weg der römischen Stipulation ist ihm fremd. Im Zusammen- 
hange hiermit stehen gewisse, vom modernen Recht übernommene Grundsätze. 1. Zunächst 
die bindende Kraft des Antrages, die gegenüber dem römischen Recht in Parti- 
kularrechten und im Handelsrecht festgehalten und durch das BGB. wieder zu gemeinem Recht 
erhoben wurde. Schon das Versprechensangebot erzeugt eine „Gebundenheit ans Wort" 
(kein Leistensollen, aber ein Haltensollen) und bleibt trotz Widerrufs annahmefähig, bis es durch 
Ablauf der Annahmefrist oder Ablehnung erlischt. 2. Sodann die schöpferische Bedeutung 
des einseitigen Versprechens, das namentlich, wenn es für eine noch unbestimmte
	        
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