2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 269
Person hingestellt wird, bereits den objektiven Bestand eines Schuldverhältnisses herstellt und
auslöst, so daß die Aneignung durch eine dazu berufene Person genügt, um das Schuld-
verhältnis zustande zu bringen. Neuerdings wird in solchen Fällen, wie insbesondere bei der
Auslobung und der Schuldverschreibung auf Inhaber, vielfach überhaupt der Begriff des
Vertrages durch den eines einseitigen Kreationsgeschäfts ersetzt; doch liegt nur eine Ver-
selbständigung von Antrag und Annahme vor. 3. Weiter die schuldbegründende Kraft des
abstrakten Versprechens, das den Verpflichtungsgrund in sich trägt und daher un-
abhängig von Dasein oder Gültigkeit eines Versprechensgrundes bindet. Im gemeinen Recht
zurückgedrängt, wurde das abstrakte Schuldversprechen (nebst Schuldanerkenntnis und An-
weisungsakzept) im Handelsrecht festgehalten und durch das BG. im Falle schriftlicher Er-
teilung wieder allgemein für verbindlich erklärt. 4. Endlich die Wirksamkeit des Ver-
sprechens der Leistung an einen Dritten (unten § 92).
Literatur: Oben zu # 86. Siegel, Das Versprechen als Verpflichtungsgrund, 1873.
Hübner #K 73—74.
§ 91. Form der Schuldverträge. Nach altem deutschen Recht begründete zwar das
formlose Versprechen eine Schuld, und zwar ein Haltensollen wie ein Leistensollen. Allein
beides war ohne Hinzutritt einer Haftung unerzwingbar. Zur Begründung einer Haftung
aber bedurfte es entweder eines Formalvertrages oder realer Hingabe des Versprechensentgeltes.
Daraus ergab sich beim formlosen gegenseitigen Vertrage ein beiderseitiges Reuerecht; jeder
Teil konnte das gegebene Wort zurücknehmen, wenn er das empfangene Wort zurückgab. Durch
Vorleistung eines Teiles aber wurde der gegenseitige Vertrag auch für den anderen Teil
bindend. Aus der Gleichstellung der Teilleistung mit der Volleistung entwickelten sich neben den
auf Einsetzung eines Haftungsgegenstandes gerichteten Geschäftsformen (Pfandsetzung, Treu-
gelübde, Wadiation) und ihren Abspaltungen (Eid, Handschlag, Urkundenbegebung) die Arrhal-
formen. Zu diesen gehörten der sehr verbreitete Weinkauf oder Litkauf (Befestigung durch
Zahlung einer gemeinsam mit den Zeugen vertrunkenen Summe) und der Gottespfennig
(ein zu frommen Zwecken gewidmetes Haftgeld). Alle diese haftungsrechtlichen Formen be-
hielten vermöge ihrer sichernden Kraft auch insoweit, als die Klagbarkeit formloser Schuld-
versprechen durchdrang, praktische Bedeutung (unten §& 92). bberdies aber hing nach der
Struktur des germanischen Prozesses die Beweisbarkeit der Schuld von der Anwendung einer
Vertragsform ab, die dem Kläger ein eidverlegendes Beweismittel verschaffte. Andernfalls
konnte die Klage um Schuld mit der eidlichen Versicherung der Nichtschuld abgeschlagen werden.
Beweissicherungsformen waren die Zuziehung von Geschäftszeugen, die Beurkundung und der
Abschluß vor Gericht. Das ältere Sachsenrecht aber gewährte regelmäßig überhaupt nur dem
Gerichtszeugnis die Kraft zur Uberführung des leugnenden Schuldners.
Seit der Rezeption wurde der deutschrechtliche Grundsatz, daß das formlose Ver-
sprechen eine Schuld erzeugt, unter der Einwirkung des kanonischen Rechts und naturrecht-
licher Lehren zu gemeinrechtlicher Geltung erhoben, bedeutete aber nunmehr, da die Bedeutung
der deutschrechtlichen Formen für die Haftung und die prozessuale Geltendmachung wegfiel,
die bedingungslose Vollwirksamkeit formloser Schuldverträge. Obschon die Partikularrechte
reagierten (insbesondere das Preuß. LR. bei einem Gegenstande über 50 Taler zur Klag-
barkeit, der Code civ. bei einem Gegenstande über 50 Franken zur Beweisbarkeit Schriftform
verlangte), wurde die gemeinrechtliche Formfreiheit zuerst für Handelsgeschäfte und durch das
BGB. für alle Verträge zur Regel erhoben. Heute sind daher nur einzelne Arten von
Schuldverträgen durch gesetzliche Ausnahmevorschriften an eine Form gebunden.
Literatur: Oben zu s§ 86 u. 87. Stobbe, Reurecht und Vertragsschluß nach altdeutschem
Recht, 1876. Korn, De obnexatione et wadio, 1863. Bal de Lievre, Launegild und
Wadia, 1877. Sieg el, Handschlag und Eid (Sitzungeberichte der Wiener Akademie CXXKX),
1894. L. S e uffert, Zur Geschichte der obligatorischen Verträge, 1881. Gierke, Schuld
u. Haftung, S. 117 ff. / . Amira, Der Stab in der germanischen Rechtssymbolik, 1909; Die
Wadiation, 1911.
§ 92. Bestärkungsmittel bei Verträgen. Teils aus ursprünglichen Formen, teils aus
besonderen Nebenvereinbarungen gingen Bestärkungsmittel der Verträge hervor; insbesondere
erschienen als solche, seitdem Schuld und Haftung verbunden waren, die eine verstärkte Haftung