288 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Obervormundschaft, die von den Richtern gehandhabt wurde. In der zweiten Hälfte des
Mittelalters erfuhr die Altersvormundschaft, besonders zuerst in den Städten, wo der Ra
die Obervormundschaft übernahm, tiefgreifende Wandlungen im Sinne einer Abschwächung
der Munt zu bloßer Vertretungs- und Verwaltungsmacht. Dieses jüngere deutsche Recht
wirkte auf das rezipierte römische Recht umbildend ein. Seit dem 18. Jahrhundert nahm der
Staat zum Teil das Vormundschaftswesen völlig in seine Hand und bildete es zu öffentlichem
Recht mit Beamtenstellung der Vormünder um (am schroffsten Preuß. AL. II 18). Da-
gegen gestaltete der Code civil das Vormundschaftsrecht mit stark germanischen Einflüssen mehr
als Familienrecht aus. In neuerer Zeit ergingen in Deutschland neue Vormundschafts-
ordnungen vermittelnder Richtung. So vor allem die preußische vom 5. Juli 1875. Sie
liegt dem BB. zugrunde, das das Vormundschaftsrecht als Teil des Familienrechts
regelt.
Begründet wurde die Vormundschaft im älteren deutschen Recht durch den (einst
durch Anfall an die Sippe vermittelten, dann von Rechts wegen eintretenden) Anfall der
Munt über unmündige Waisen an den nächsten und ältesten ebenbürtigen Schwertmagen,
den „geborenen“ oder „rechten“ Vormund. Daneben gab es gekorene Vormünder (oben
8 21 II). Im Bedürfnisfall aber wurde ein Vormund gerichtlich gesetzt. In den Städten
wurde die gerichtliche Bestätigung auch des geborenen und gekorenen Vormunds üblich. Nach
der Rezeption wurde der römische Berufungsgrund der letztwilligen Ernennung durch den
Vater ausgenommen, dieses Recht aber auch der Mutter eingeräumt. Allein in allen Fällen
wurde die richterliche Bestellung (confirmatio juris Germanici) nach erfolgter Prüfung zu
dem die Vormundschaft begründenden Akt (RPO. von 1577 t. 32). Nur im hohen Mdel er-
hielt sich altgermanisches Recht. Das BB. kennt nur bestellte Vormünder, hält aber an den
hergebrachten Berufungsgründen fest.
Seiner rechtlichen Stellung nach hatte der geborene Vormund Gewalt an der
Person und vormundschaftliche Gewere am Vermögen; er bezog die Nutzungen, hatte aber
dafür den Mündel zu unterhalten und zu erziehen; bei der Beendigung hatte er das Stamm-
vermögen unversehrt zurückzugeben und darüber Rechenschaft zu legen; zu Substanzveräußerungen
war er nicht befugt. Dagegen hatte der gesetzte Vormund stets nur Vertretung und Ver-
waltung und mußte über die Einkünfte Rechnung legen. Im späteren Mittelalter wurde dies
allgemein; nur die Bewilligung eines Honorars aus den Einkünften blieb zulässig. Nach der
Rezeption wurde die römische Unterscheidung von tutela impuberum und cura minorum be-
seitigt und die Stellung des Vormunds einheitlich geregelt. Das BGB. gewährt dem Vor-
munde eine personenrechtliche Stellung, kraft deren er Recht und Pflicht der Sorge für die
Person und das Vermögen des Mündels und in beiderlei Hinsicht Vertretungsmacht hat.
Die Obervormundschaft, die zeitweilig den Vormund jeder Selbständigkeit
beraubte, äußert sich heute nur in einer ständigen Aufsicht über die Personensorge und die
Vermögensverwaltung des Vormunds und in der Genehmigungsbedürftigkeit bestimmter
Vertretungshandlungen. Zum Teil genügt an Stelle der obervormundschaftlichen Mitwirkung
die Mitwirkung eines Gegenvormundes oder Mitvormundes. In gewissem Umfange kann
durch väterliche oder mütterliche Anordnung der Vormund von den gesetzlichen Beschränkungen
befreit werden. An die ehemaligen Funktionen der Sippe knüpft die französischrechtliche Ein-
richtung des Familienrats an; das BGB. ermöglicht die Bildung eines Familienrats, der
als ein unter Vorsitz und Leitung des Vormundschaftsrichters beschließendes Kollegium zur
Führung der Obervormundschaft berufen werden kann. Als ein besonderes Organ zur Unter-
stützung des Vormundschaftsgerichts (besonders hinsichtlich der Personenfrage) fungiert der
Gemeindewaisenrat.
Die Beendigung der Vormundschaft tritt mit der Volljährigkeit des Mündels,
dagegen nicht mehr, wie nach dem im französischen Recht und vielen deutschen Partikularrechten
festgehaltenen älteren deutschen Recht, mit dessen Verheiratung ein („Heirat macht mündig“).
Die Stellung als Vormund kann schon nach den mittelalterlichen Quellen durch den Richter
wegen Untreue entzogen werden („balemunden“, Sachsensp. I a. 41). Das BG. kennt
neben der Entlassung des Vormundes auf Antrag oder wegen Untauglichkeit auch die Ent-
ziehung einzelner Rechte.