2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 291
schon Sachsensp. III a. 84). Überlebt der Erbe den Erblasser nur um einen Augenblick, so
vererbt er (ohne daß es der römischen Transmission bedarf) die Erbschaft auf seinen Erben.
Der Erbe braucht jedoch nicht Erbe zu bleiben, kann sich vielmehr der Erbschaft mit der Wir-
kung entschlagen, daß sein Erwerb rückgängig wird und die Erbschaft als im Augenblicke des
Erbfalles vom Nächstberufenen erworben gilt. Doch verliert er dieses Recht nicht nur durch
Versäumnis der gesetzlichen Ausschlagungsfrist, sondern auch durch (ausdrückliche oder still-
schweigende) „Annahme“, die somit Verzicht auf Ausschlagung bedeutet. — Deutschen Ur-
sprungs ist der vom Nachlaßgericht als Zeugnis über das Erbrecht erteilte Erbschein, der eine
Vermutung für das Erbrecht begründet und kraft des ihm zugunsten Dritter beigelegten öffent-
lichen Glaubens Legitimationskraft im Verkehr besitzt.
Literatur: Cosack, Der Besitz des Erben, 1877. Behrend, Anevang und Erben-
gewere, 1885.
§ 117. Haftung für die Nachlaßverbindlichkeiten. Nach älterem deutschen Recht waren,
weil die Schulden nur als Passivbestandteile des Vermögens übergingen, nur solche Schulden
vererblich, für die ein Gegenwert in das Vermögen gekommen war; somit z. B. nicht Schulden
aus Delikt, Spiel, Schenkungsversprechen, Veräußerungsversprechen. Heute ist die Vererb-
lichkeit der Schulden die Regel.
— Eine Sonderung der Schulden ergibt sich aus ihrer Zugehörigkeit zu einer be-
sonderen Vermögensmasse. Für die gemeinen Schulden haftete nach dem Recht des deutschen
Mittelalters der Erbe nur mit der fahrenden Habe (Sachsensp. I a. 6 §2). In süddeutschen
Rechten früh und allgemein in den Städten wurde die Haftung der Grundstücke für alle
Nachlaßschulden durchgeführt. Bis heute erhielt sich die Nichthaftung der Lehen und Stamm-
güter für Allodialschulden und dafür die Anerkennung besonderer Lehns- und Fideikommiß-
schulden.
Stets haftete nach deutschem Recht der Erbe nur mit dem Nachlaß: eine per-
sönliche Haftung lud er nur auf sich, wenn er unvorsichtig die Massen vermischte oder sonst
Pflichten gegen die Gläubiger verletzte. Im gemeinen Recht drang das römische Prinzip
der persönlichen Schuldenhaftung des Erben, abgeschwächt durch das beneficium inventarü,
durch. Dagegen erhielt sich in Partikularrechten die beschränkte Erbenhaftung des deutschen
Rechts. Auch nach dem BGB. haftet der Erbe an sich nur mit dem Nachlaß, muß aber zur
Vermeidung persönlicher Haftung bestimmte Maßnahmen behufs Durchführung der beschränkten
Haftung ergreifen (der Regel nach Nachlaßverwaltung oder Nachlaßkonkurs; dazu unter Um-
ständen Gläubigeraufgebot und Inventarerrichtung).
Literatur: Stobbe, Jahrb. des gem. deutsch n . V 293 ff. Leweis, Die Suzession
des Erben in die Obligationen des Erblassers, 1865. v. F reyt a ghLortn g hofen, 3. f.
R.G. XL 92 ff., XLI 69 f. Gierke, Schuld und Haftung, S 90 ff.
§ 118. Miterben. Mehrere Erben (Ganerben) bilden nach deutschem Recht eine Ge-
meinschaft zur gesamten Hand; die einzelnen Rechte und Pflichten gehen ungeteilt auf die
Miterben insgesamt über, jedem Miterben aber steht ein Anteil an der Erbschaft als einem
Ganzen zu. Im gemeinen Recht drang das römische Recht durch, demzufolge die Miterben
an den einzelnen Sachen Miteigentum nach Bruchteilen erlangen, Forderungen und Schulden
aber sich von selbst im Verhältnis der Erbanteile spalten. Dagegen erhielt sich in Partikular-
rechten (besonders im Preuß. LR.) das deutsche Recht. Auch nach BGB. ist die Erben-
gemeinschaft eine Gemeinschaft zur gesamten Hand; nur über seinen Anteil an der Erbschaft
im ganzen kann jeder Miterbe für sich (vorbehaltlich des oben § 80 1 4 erwähnten dinglichen
Vorkaufsrechtes der anderen Miterben) verfügen.
Der Miterbe kann Teilung der Gemeinschaft verlangen. Doch war im älteren Recht
vertragsmäßiger Ausschluß des Teilungsanspruches möglich und bei bäuerlichen Gemeinder-
schaften und ritterlichen Ganerbschaften (oben § 34) üblich. Auch nach BGB. kann die Teilung
vertragsmäßig (vorbehaltlich des Teilungsanspruches aus wichtigem Grunde) oder durch An-
ordnung des Erblassers (auf 30 Jahre) ausgeschlossen werden. Aufgeschoben wurde das Recht
auf Auseinandersetzung durch das Rechtsinstitut des Dreißigsten, das bis zum dreißigsten Tage
nach dem Tode den Fortbestand des bisherigen Besitzstandes im Sterbehause sicherte; das
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