Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 293 
vorzuge. Schon nach den Volksrechten waren die Weiber erbberechtigt, überall aber 
(außer bei den Westgoten) zurückgesetzt. Bei manchen Stämmen war das liegende Gut über- 
haupt (I. Sal. 59) oder doch zunächst (I. Angl. et Wer. 1) dem Mannesstamme vorbehalten; 
dies schränkte sich später auf Stammgüter ein und gilt noch heute bei Haus- und Stamm- 
gütern und regelmäßig bei Familienfideikommissen. Bei vielen Stämmen gingen überhaupt 
am engsten Erbenkreise unter gleich nahen Erben die Männer vor, so daß (abgesehen von der 
Gerade) Söhne vor DTöchtern, der Vater vor der Mutter, Brüder vor Schwestern erben, da- 
gegen das näher berufene Weib stets den entfernteren Mann ausschließt und im ferneren 
Kreise das Geschlecht unerheblich ist (Sachsensp. 1 a. 17). Zuerst in den Städten und seit 
dem 14. Jahrhundert allgemein drang die Gleichstellung der Töchter mit den Söhnen usw. 
im gemeinen Erbrecht durch; nur bei der Erbfolge in Bauergüter erhielt sich der Geschlechts- 
vorzug unter gleich nahen Erben. Nach manchen Rechten (z. B. fries. u. schweizer.) empfingen 
die Männer einen größeren Erbteil als die Weiber; so noch nach dem Zürch. G. bis zur Re- 
vision von 1887. 2. Ein Altersvorzug unter gleich nahen Erben war dem deutschen Recht 
ursprünglich fremd und wurde nur langsam bei der Sondererbfolge im Adels- und Bauern- 
recht entwickelt; schon im frühen Mittelalter vererbte, wie es scheint, bei den Sachsen das als 
„Handgemal“ bezeichnete Stammgut eines schöffenbar freien Geschlechts ungeteilt auf den 
Altesten im Mannesstamme. 3. Aus der Parentelenordnung ergab sich der Schoßfall, 
d. h. der Vorrang der Eltern vor den Geschwistern („Das Kind fällt in der Mutter Schoß“); 
er erhielt sich vielfach nach der Rezeption (auch im Preuß. LR.); nach dem BG. gilt er, wenn 
beide Eltern leben, während, wenn eines von ihnen verstorben ist, dessen Nachkommen kraft 
Eintrittsrechts miterben. Ebenso werden in den ferneren Parentelen zunächst die Stamm- 
häupter, jedoch nach dem B#B. in der zweiten Ordnung Großeltern nur zusammen mit den 
Nachkommen weggefallener Großeltern und erst in der vierten Ordnung Urgroßeltern allein 
berufen. Vereinzelt ist aus der Ausdehnung des Schoßfalls ein der Parentelenordnung wider- 
sprechender Vorrang aller Aszendenten vor Seitenverwandten hervorgegangen. Bisweilen 
aber werden umgekehrt die Aszendenten von der Erbfolge ausgeschlossen oder hinter den Seiten- 
verwandten zurückgesetzt. 4. In fränkischen Gegenden galt vielfach das Fallrecht, kraft 
dessen bei kinderlosen Ehen die Liegenschaften nach dem Tode des überlebenden Ehegatten an 
die Sippe, von der sie herstammten, zurücksielen. Dies wurde oft zu einem allgemeinen Rück- 
fall der Güter an die Vater- oder Muttermagen erweitert (paterna paternis, materna maternis), 
in französ. Coutumes und im Coce civ. aber in Hälftenteilung zwischen Vater- und Mutter- 
magen verwandelt. Nach dem BE. ergibt sich in der dritten Ordnung aus Linien- 
teilung und Eintrittsrecht das gleiche. Im langob. und alemann. R. begegnet umgekehrt ein 
Vorzug der Vatermagen vor den Muttermagen, der sich in schweizer. Rechten erhielt. 5. Halb- 
bürtige Verwandschaft steht nach manchen Quellen unter Geschwistern (Sachsensp. II a. 
20 F§ 1), nach anderen unter Seitenverwandten überhaupt hinter vollbürtiger Verwandtschaft 
um einen Grad zurück. Nach dem BE#. bringt in der zweiten und dritten Ordnung das Ein- 
trittsrecht eine ungleiche Behandlung vollbürtiger und halbbürtiger Verwandter mit sich. 
6. Die wichtigsten Abwandlungen der Parentelenordnung bewirkt der Einfluß der Abschichtung 
aus der Hausgemeinschaft (oben F 109 u. 110). 
Literatur: Majer, Germaniens Urverfassung (Entdeckung der Parantelenordnung), 1798; 
Teutsche Erbfolge, 1805. Homeyer, Die Stellung des Sachsensp. zur Parentelenordnung, 
1860. Brunner, Das anglonormannische Erbfolgesystem, 1870. Kohler , Zur ehre von 
der Parentelenordnung, 1875. Miller, Das langobard. Erbrecht, Z. f. R.G. b ofl 
Pappenheim, Forsch. zur deutsch. Gesch. XXIII 618 ff. Rosin, Z. f. d. P. u ö. R. d. 
G. ernn 341 ff. Hübner s 106—107. — Wasserschleben, Das Prinzip der i 
zessionsordn., 1860; a gLermanisches Verwandtschaftsberechnung, 1864; Das Prinzip der Erben- 
folge, 1870. Sise 6r el, Die germanische Verwandtschaftsberechnung, 1863. v. Amira, Erben- 
folge und Verwandtschaftsgliederung nach den piebedeutichen Rechten, 1874. Schanz , Die 
Erbfolgeordnung des Sachsensp. u. das Magd. R., Seelig, Die Erbfolg ordne des 
Schwabensp., 1890. Ficker, Untersuchungen zur Velenfalge der ostgerm. R., Bd. V, Vi 
u. VI, 1891/1904. v. Schwerin S. 98 ff. — Rosin, Commentatio ad tit. 1. 2. n de 
Ade, 1875. O. Opet, Die frrechtliche Stellung der Weiber zur Zeit der Volksrechte, 1888. 
Brunner, 3Z. f. R.G. XXNIVII E. W. Schulze, Das Recht der Erstgeburt, 1854. Ho- 
meyer, über die Heimat nach Alhs v insbesondere über das Hantgemal, 1852. Sohm,, 
uber das Handgemal, Z. f. R.G. XIIII 193 ff. Frommhold, Beiträge zur Geschichte der
	        
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