Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

296 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
Als Erbverträge wurden auch die Erbverbrüderungen zwischen hochadligen 
Häusern — ursprünglich durch ständige Verbrüderung mit gegenseitiger Vergabung begründete 
Gemeinschaften zur gesamten Hand, denen anwartschaftliche Anfallsrechte entsprangen — 
seit der Rezeption mehr und mehr aufgefaßt und eingekleidet. Ihre Besonderheit liegt darin, 
daß die Häuser als solche einander ein Erbrecht einräumen. Der Erbfall tritt also erst ein, 
wenn eines der Häuser im Mannesstamme erlischt. Das verbrüderte Haus sukzediert in dem 
nach Maßgabe seines eigenen Hausrechtes berufenen Haupte. 
Literatur: G. Beseler, Die Lehre von den Erbverträgen, 1835/40. 
§ 124. Erbverzichte. Der Erbverzicht, der im ältesten deutschen Recht nur als Bestand- 
teil einer feierlichen Absippung begegnet (I. Sal. 60), war schon im Mittelalter zu einem selb- 
ständigen Rechtsgeschäft, dem gerichtlichen „Verloben“ des Erbes, ausgebildet (Sachsensp. 
1 a. 13). Nach der Rezeption wurde er zuerst angefochten, dann aber als eine Art des Erb- 
vertrages gemeinrechtlich zugelassen. Alle deutschen Gesetzbücher und mit ihnen das BG. 
erkennen ihn an. Dagegen schließt ihn der Code civ. (a. 791) schlechthin aus. 
Der Abschluß des Erbverzichtes erfolgt durch Vertrag zwischen dem Erblasser und 
dem Erben. Nicht nur auf gesetzliches Erbrecht, sondern auch auf Erbrecht oder Vermächtnis 
aus Testament oder Erbvertrag (hier aber nur seitens eines bedachten Dritten) kann verzichtet 
werden. Nach gemeinem Recht und den meisten Partikularrechten formfrei, fordert der Erb- 
verzicht nach BG. gerichtliche oder notarielle Form. Wird der Verzicht gegen eine Ab- 
findung erklärt, so wird die Abfindung nicht als Erbteil, sondern aus besonderem Titel unter 
Lebenden erworben. 
Die Wirkung ist erbrechtlich: der Verzicht zerstört das Erbrecht. Doch kann diese 
Wirkung auf den Fall des Erbewerdens bestimmter anderer Personen beschränkt werden; der 
Verzicht eines Abkömmlings gilt im Zweifel stets nur als Verzicht zugunsten der anderen Ab- 
kömmlinge und des Ehegatten. Der Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht schließt den auf das 
Pflichtteilsrecht ein; möglich ist auch Verzicht auf das Pflichtteilsrecht allein. Während nach 
gemeinem Recht der Verzicht nicht auf das Erbrecht der Nachkommen erstreckt werden konnte, 
ist nach BGB. wie nach den meisten Partikularrechten eine solche Erstreckung nicht nur zu- 
lässig, sondern in dem Verzicht eines Abkömmlings auf sein gesetzliches Erbrecht im Zweifel 
stets zu finden. Der Verzicht auf eine Zuwendung aus Verfügung von Todes wegen wirkt 
immer nur für die einzelne Verfügung. 
Die Erbverzichte adliger Töchter nahmen bei dem hohen Adel und der 
Reichsritterschaft durch die Einwirkung der Familienautonomie Besonderheiten an. Seit 
dem 13. Jahrhundert als Mittel benutzt, um die vordringende Gleichstellung der Töchter ab- 
zuwehren, wurden sie nach der Durchsetzung der Erbfolge des Mannesstammes zu mehrerer 
Sicherheit beibehalten. Die Töchter wurden nun verpflichtet, bei der Verheiratung eine Ver- 
pflichtungsurkunde auszustellen. Dieser „notwendige“ Verzicht ist an sich überflüssig (filia 
non renuncians pro renunciata habetur); mit ihm kann sich aber ein „freiwilliger“ Verzicht 
(z. B. aus Muttergut) verbinden. Die Erbverzichte der adligen Töchter wirkten stets auch für 
die Nachkommen. Meist lauten sie aber nicht absolut, sondern nur zugunsten des Mannsstammes 
(„bis auf den ledigen Anfall"“). Tritt der Fall ein, in dem Spindelmagen berufen werden, 
so entsteht die vielerörterte Frage, die nicht nur zahlreiche Prozesse, sondern auch blutige Kriege 
entfacht hat, ob die Erbfolge auf den Regredienterben (den Nächstberufenen vom Stamme der 
verzichtenden Tochter) zurückspringt oder der Erbtochter (der Tochter oder dem sonstigen nächsten 
Verwandten des letzten Besitzers) gebührt. Die Entscheidung ist im allgemeinen zugunsten 
der Erbtochter gefallen. In der Tat können Vorbehalte bei notwendigen Verzichten den 
regelmäßigen Erbgang nicht hindern. Bei freiwilligen Verzichten kommt es auf Willens- 
auslegung an; im Zweifel aber ist auch hier Regredienterbschaft nicht als gewollt anzusehen. 
Literatur: Reyscher, Die Erbverzichte der adligen Töchter, Z. f. D. R. XV I ff. 
v. Neurath, Von der Regredienterbschaft, 1807. R. Friedrich, Die Sukzession der 
Regredienterbin und Erbtochter, 1884. 
§ 125. Testamente. Letztwillige Verfügungen begegnen im deutschen Recht zuerst in 
Gestalt der Seelgeräte (Verfügungen pro anima, Gottesgaben), durch die der Erblasser einen
	        
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