2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 301
dbinung mit der gesetzlichen Unteilbarkeit der Höfe, wenn auch beide Rechtsinstitute einander
keineswegs notwendig bedingen. In einzelnen Landschaften bestand das alte Anerbenrecht
bis heute ununterbrochen fort. Meist aber wurde es aufgehoben und fristete nur in der
bäuerlichen Erbsitte ein durch das gesetzlich geltende gemeine Erbrecht stark bedrohtes Dasein.
In neuerer Zeit wurden verschiedene Wege eingeschlagen, um dem mittleren ländlichen
Grundbesitz wieder ein seine Erhaltung sicherndes Erbrecht zu bieten. Geringen Erfolg hatten
die in Bayern (1855) und Hessen (1858) erlassenen Gesetze, nach denen „landwirtschaftliche
Erbgüter“ als eine Art von Bauernfideikommissen gestiftet werden können. Mit besserem,
obschon örtlich verschiedenem Erfolge knüpften in Preußen die Höferechtsgesetze für Hannover
(zuerst 1874, neueste Fassung 1909) und Lauenburg und die Landgüterordnungen für andere
Provinzen an das alte Anerbenrecht an, indem sie ihm entsprechende besondere erbrechtliche
Regeln für die in eine gerichtliche „Höferolle“ oder „Landgüterrolle“ eingetragenen Güter
aufstellten, jedem Eigentümer aber eines Bauergutes und mehr und mehr auch eines anderen
wirtschaftlich selbständigen Landgutes anheimgaben, sein Gut diesem Sonderrecht durch Ein-
tragung zu unterwerfen und durch Löschung wieder zu entziehen. Ahnliche Systeme wurden
in Bremen (1876 und 1890) und Oldenburg (1873) eingeführt. In mehreren Staaten end-
lich wurde das Anerbenrecht als gesetzliches Sonderrecht für bestimmte Güter beibehalten oder
wiederhergestellt und nur neu geregelt; so in Baden für die geschlossenen Hofgüter im Schwarz-
walde (Ed. v. 1808, Ges. v. 1888 und 1898); in Braunschweig (1858 und 1874); in Schaum-
burg-Lippe (1870 und 1880); in Mecklenburg; in Preußen regelmäßig auf Grund eines von
Amts wegen einzutragenden Grundbuchvermerks für Renten- und Ansiedlungsgüter (G. v.
8. Juli 1896), sowie in Westfalen (G. v. 2. Juli 1898). Das BEG#B. behält die Materie dem
Landesrecht vor (EG. a. 64).
Das Anerbenrecht ist seinem Wesen nach Sondererbfolge in den Hof mit allem Zu-
behör. Diese Sondererbfolge ist aber nicht, wie nach älterem Recht, vom Erwerbe der Allodial-
erbschaft unabhängig, sondern nur einem Miterben zugänglich und notwendig mit Gesamt-
nachfolge verknüpft. (Vereinzelt ist sogar das Anerbenrecht zu einem persönlichen Anspruch
nach Art eines gesetzlichen Vorausvermächtnisses abgeschwächt.) Das Anerbenrecht ist kein
Wartrecht (anders bei Erbgütern); es gewährt kein Widerspruchsrecht gegen Verfügungen
über das Gut. Die (früher bisweilen vorkommende) Beschränkung des Erblassers in der
Verfügung von Todes wegen ist reichsgesetzlich ausgeschlossen.
Anerbe ist stets nur einer unter mehreren gesetzlichen Erben. Nach manchen neueren
Gesetzen gilt das Anerbenrecht überhaupt nur unter Nachkommen oder doch nur unter ihnen
und unter Geschwistern und deren Nachkommen. Die Person des Anerben hat zunächst der
Erblasser (früher oft auch der Gutsherr) zu bestimmen. Im übrigen gilt Vorzug der leib-
lichen Verwandtschaft, der ehelichen Geburt (auch gegenüber der Mutter), des männlichen
Geschlechts und des Mannsstammes. Unter gleich nahe Berufenen entscheidet regelmäßig
Erstgeburt, in manchen Gegenden aber Jüngstgeburt. Bei Kolonatgütern mußte der Anerbe
zur Wirtschaft tüchtig sein, die Anerbin einen tüchtigen Wirt aufheiraten. Ehrlose und Ent-
mündigte werden auch heute zurückgesetzt. — Mancherlei Abwandlungen bewirkt das eheliche
Güterrecht; dem überlebenden Ehegatten steht bisweilen das Anerbenrecht, besonders häufig aber
lebenslängliche Leibzucht am Hofe zu. — Mehrere Höfe fallen der Reihe nach an mehrere Anerben.
Die Miterben haben einen Anspruch auf Abfindung, die früher im Einzelfalle mit
Rücksicht auf die Kräfte des Hofes und die Größe des Allods festgesetzt wurde (so noch in
Braunschweig und Oldenburg), heute meist vom Werte des Hofes, jedoch entweder nach
niedriger Schätzung („Bruder= und Schwestertaxe"') oder mit offenem Voraus für den An-
erben (ein Drittel) und neuerdings nach dem Ertragswerte, berechnet wird. Soweit die
Abfindung nicht ausgezahlt wird, kann ihre Eintragung als verzinsliche Kapitalschuld verlangt
werden. Das neueste Recht gewährt jedoch den Miterben nur Anspruch auf eine für sie un-
kündbare, mangels anderer Vereinbarung durch jährlichen Zuschlag von 115 v. H. als Til-
gungsrente auszugestaltende „Erbabfindungsrente“. Nach alter Sitte werden die Miterben
bis zur Selbständigkeit auf dem Hofe gegen Leistung von Mitarbeit unterhalten und erzogen,
während inzwischen die Abfindung nicht fällig und nicht verzinst wird; die neueren Gesetze er
möglichen meist eine dieses Verhältnis herstellende Anordnung des Erblassers.