Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

314 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
giösen Bannes verboten war. Endlich spricht gar nichts dafür in den Plebejern ein nachträg- 
lich zu der ursprünglich rein patrizischen Bürgerschaft gewissermußen von außen her hinzu- 
getretenes Element zu erblicken. In allen antiken Stadtstaaten sehen wir, daß sich aus der 
Ungleichheit des Grundbesitzes allmählich ein gegenüber der Masse des Volkes bevorrechteter 
Adel entwickelt. Ein solcher Adel wird auch der römische Patriziat gewesen sein. Er wohnt 
in der Stadt; den draußen liegenden Grundbesitz läßt er durch Sklaven, Schuldknechte, viel- 
leicht auch Klienten 1, bebauen. Sein relativer Reichtum gewährt ihm die Macht und auch die 
Muße zur politischen Betätigung; so kommt es, daß der ständige Beirat des Königs, der Senat, 
nur mit Patriziern besetzt ist 2. Ein erheblicher Teil der ärmeren Bevölkerung gerät in Ab- 
hängigkeit von diesen Herrengeschlechtern und begibt sich in deren Klientel. Aber niemals war 
dies die ganze nichtpatrizische Bevölkerung. Immer gab es Kleinbauern, die sich ihre wirt- 
schaftliche Selbständigkeit zu bewahren gewußt hatten 3, gab es selbst plebejische Zweige patri- 
zischer Geschlechter, gab es Handwerker und Händler in der Stadt: diese waren es, die die 
Plebs ausmachten. Und als der Adel sich abschloß, die emporsteigenden Familien nicht mehr 
in sich aufnahm, da begann auch die Plebs Familien von Macht und Einfluß zu umfassen, die 
ihr Gewicht bei dem entbrennenden Ständekampf in die Wagschale legten. 
§ 7. Gentes, Kurien, Tribus. Der Patriziat zerfällt in Geschlechter (gentes) 4. 
Ihre Zahl, nach der sehr unglaubwürdigen Tradition ursprünglich 300, war in der Königszeit 
wohl noch nicht geschlossen — auf den Hinzutritt neuer Geschlechter deutet die Unterscheidung 
zwischen gentes maiores und minores —, ist es aber späterhin geworden. Unter den Ange- 
hörigen der gens (gentiles) ist die Idee einer näheren, freilich nicht mehr nachweisbaren Ver- 
wandtschaft lebendig, eine Idee, die insbesondere in der Zurückführung der gens auf einen 
heros eponymus hervortritt. Dennoch ist es schwerlich richtig, wenn man, wie es meist ge- 
schieht, die gentes aus allmählich sich erweiternden Familien entstanden glaubt; jene Ver- 
wandtschaftsidee lebt auch in ganzen Stämmen und Völkern. Vielmehr dürfte die urzeitliche 
gens, ebenso wie die keltischen Clans, eine politische Organisation innerhalb des Stammess ge- 
wesen sein, entstanden, wie dergleichen Organisationen überhaupt entstehen, durch gemein- 
same kriegerische Unternehmungen, gemeinsame Ansiedlung usw. Der ursprünglich politische 
Charakter der gens tritt noch in historischer Zeit darin hervor, daß sie für ihre Mitglieder bin- 
dende Beschlüsse (decreta) faßt (wodurch sie ihnen z. B. die Führung bestimmter Vornamen 
untersagt). Daß jede gens ursprünglich auf dem gleichen engen Territorium — vielleicht in 
Ackergemeinschaft — angesiedelt war, zeigt sich noch in den gentilizischen Namen der römischen 
Landbezirke (tribus rusticae), die doch nur so verstanden werden können, daß dort die betreffende 
gens als solche ihre Niederlassung hatte 7. Beim Beginn unserer geschichtlichen Kenntnis ist 
5 Die Zunutung der Klientel für diesen Zweck steht keineswegs fest. Bgl. Max Weber 
a. a. O. . 147. 
* Die obige Auffassung des Patriziates wird u. a. von Eduard Meyer, Niese, 
de Sanctis vertreten. Bgl. namentlich den Artikel „Plebs“ in Conrads Handwörterbuch 
der Staatswissensch. von Eduard Meyer. 
* Gegen K. J. Neumanns Hypothese, wonach die gesamte Plebs bis zum Jahre 457 
v. Chr. eine Art Erbuntertanen der Patrizier gewesen, in jenem Jahre aber „befreit“ worden wären, 
V. kuen S. 322 n. 1, auch Max Weber. a. a. O. S. 141 f. Soltau. Neue Jahrbb. XXIX 
. 480f. 
Gentes i. w. S. hat es auch unter den Plebejern gegeben; ob von jeher oder erst seit der 
Zeit des sozialen Emporsteigens plebejischer Familien, ist streitig. Jedenfalls aber gab es einen 
engeren Begriff der rein patrizischen gens (Liv. X 8, 9: vos solos gentem habere). Unrichtig 
ist, daß man die plebejischen gentes technisch als stirpes bezeichnet habe. Vgl. Kübler, bei 
Pauly-Wissowa, s. v. gens. 
* Nicht etwa eine der Entwicklung des Stammes zeitlich vorhergehende Organisation. Bgl. 
E. Meyer, Sitzungsber. der Berliner Akad. 1907 S. 508 ff. 
*Daß diese Beschlüsse rechtlich unverbindlich gewesen seien (Mommsen, Staatsrecht III 
S. 18), ist schwer zu glauben (dagegen auch Kübler, a. a. O.). Dann kann es der gens aber 
auch an einem Exekutivorgan nicht gefehlt haben, wenn auch die Existenz eines pater gentis 
(Bonfante, Storia p. 82 n. 1) oder magister gentis (BVoigt, 12 Tafeln II S. 777) nicht 
erweislich ist. 
* Frellich sicher nicht so, als ob die ganze tribus dieser gens gehört hätte. Die Zahl der tribus 
rusticae beträgt ja nur einen Bruchteil von der der gentes, die doch alle am Bodeneigentum parti- 
zipiert haben müssen. 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.