3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 319
auffallende Details über die Königsgesetzgebung zu berichten. So erzählt Dionys, daß Servius
etwa fünfzig Gesetze über Verträge und Delikte gegeben habe, und die römischen Altertums-
forscher und Juristen (D. 11, 8, 2) führen sogar eine Reihe von Vorschriften teils im Wortlaute,
teils dem Inhalte nach an, die sie besonders nachdrücklich als leges regiae bezeichnen und fast aus-
schließlich den drei ersten Königen zuschreiben. Aber jener Bericht des Dionys (IV 13, 25, 43; V2)
ist mehr als fragwürdig: Serwius soll jene Gesetze bei seinem Regierungsantritte gegeben und
auf Holz haben schreiben lassen, als „Schranke und Vorschrift“ für die angeblich von ihm neu
eingesetzten Privatrichter. Tarquinius Superbus soll sie wieder aufgehoben und ihre Tafeln
zerstört, die ersten Konsuln aber sie wieder eingeführt haben, ohne daß doch diese Gesetze in
den späteren Kämpfen um die Kodifikation des Rechts irgendeine Rolle spielen. Wer mag
auf dergleichen bauen? Was sodann die angeblichen leges regiae angeht, so beziehen sich die
als solche überlieferten Vorschriften alle auf ius sacrum; sie bestimmen über Opfer und Be-
gräbnis (Wein von unbeschnittenen Reben, Fische ohne Schuppen sollen nicht dargebracht
werden; das Kebsweib ist von der Opfergemeinschaft ausgeschlossen; Verbot der Trauer um
den vom Blitz Erschlagenen), über Ahndung und Sühne von Sakralvergehen (paricidium, un-
absichtliche Tötung, Beleidigung der Eltern, Grenzverletzung). Das sind Dinge, die als Gegen-
stand einer primitiven Gesetzgebung am allerwenigsten gedacht werden können; wohl aber ge-
hören sie in den Bereich des Pontifikalkollegiums. Als Quelle dieser „Gesetze“ nun wird das
ins Papirianum genannt, eine Sammlung wohl mit der überschrift de ritu sacrorum. Sicher
bezeugt ist das Dasein dieses Buches erst durch die Erläuterungsschrift des Granius Flaccus
(D. 50, 16, 144), die wahrscheinlich in die Zeit Cäsars zu setzen ist; Varro und Cicero erwähnen
es nicht. Ein „Gesetz“ wird auf Romulus und T. Tatius zurückgeführt (Festus p. 230), und
die Sage von diesem ist erst verhältnismäßig jung. Der Verfasser soll ein Pontifex Papirius
aus dem Beginne der Republik sein; er führt verschiedene Vornamen (S., M'., P., C.); die
Legende bringt das papirische Geschlecht gern bei geistlichen Angelegenheiten an. Nach alle-
dem handelt es sich um eine relativ spät entstandene Sammlung von Regeln des Sakralrechts,
die die pontifices formuliert und ihren Aufzeichnungen (commentarül) einverleibt haben werden;
diese Aufzeichnungen bilden wahrscheinlich die letzte Quelle der Sammlung. Ein großer Teil
jener Satzungen ist gewiß uralt; durch die Bezeichnung als Königsgesetze wollte man ihnen
eine höhere Weihe geben 2.
Zweite Periode. Die Republik.
I. Das römische NReich und seine Verfassung.
§ 12. Das römische Reich auf dem Höhepunkte seiner Entwicklung nach dem
zweiten punischen Kriege stellt sich dar als eine unterworfene Staaten beherrschende Stadt-
bürgergemeinde. In der Tat aber bildet das Reich, staatsrechtlich angesehen, keine Einheit,
keinen Bundesstaat, aber auch keinen Staatenbund. Nach Auflösung des alten Latinerbundes
(338), der wirklich ein völkerrechtlicher Verein war, hat die Stadt Rom nur noch Bündnis-
verträge mit den einzelnen Städten, und daneben hat sie die Herrschaft über außeritalische
Länder (Provinzen). Jede Stadt hat also mit Rom einen Vertrag, nicht die Städte unter
sich; er läßt ihr Rom gegenüber mehr oder minder Freiheit (koedus aequum oder iniquum);
Über das ius Papirianum und insbesondere sein Verhältnis zu den „monumenta“ bes
Manilius (Cic. de rep. II 14, 26) vgl. jetzt Hirschfeld, Sitzungsber. der Berl. Akad. phil.-histor.
Klass. 1903 S. 4 f., Baviera, Arch. giur. 71 S. 255 f., Kalb, Jahresber. üb. Altertumswiss.
Bd. 134 S. 15 f.
* Eine Zusammenstellung aller Bestimmungen, die die Römer als leges regiae bezeichnen,
s. in Bruns, Fontes I p. 1—14. M. Voigt, Über die leges regiae. 2 Abhandl. 1876. 77
bhandlungen der philol.zhist. Klasse d. K. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften. Bd. 7 Nr. VI
u.