Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

3. Bruns-Lenel, Geschichte und Quellen des römischen Rechts. 321 
begegnet uns in historischer Zeit nur mehr, wo es sich um Angelegenheiten ohne politische 
Bedeutung handelt (Testament, Arrogation, die formale Bestätigung der Magistrate durch die 
lex de imperio, s. unten § 20). War dem von Anfang an so? Hatten die Kurienkomitien ihre 
politische Rolle schon bei Einsetzung der Republik ausgespielt? So will es in der Tat die 
einstimmige römische Uberlieferung, die schon dem vorletzten Könige, Serwius Tullius, eine 
tiefgreifende Veränderung im Staatsleben, eine vollständige, tiefdurchdachte, alle Seiten des 
Staatswesens, die finanzielle, militärische, administrative und politische, organisch zusammen- 
schließende neue Staatsverfassung zuschreibt. 
Die Stadt Rom, so lautet diese Uberlieferung, wurde von König Servius in vier Quartiere 
(tribus) eingeteilt. Dazu traten 17 Landbezirke (tribus rusticae). 16 davon sind nach dort 
begüterten Geschlechtern mit römischen Gentilnamen bezeichnet und gewiß sehr alt. So ge- 
hörte jedes Grundstück, das im römischen Eigentume stand, res mancipi war, einer Tribus an 
(Cic. p. Flacco 80). Diese örtlichen Tribus bildeten nunmehr an Stelle der Kurien die Be- 
zirke für die Aushebung und die Steuereinziehung (Varro, de lingua Lat. V 181; Dionys. 
IV 14). So wird die Gebietseinteilung zugleich eine Personeneinteilung; jeder wehr- und 
steuerpflichtige Bürger muß einer Tribus angehören. Aber diese Personaltribus können ur- 
sprünglich nur die Grundbesitzer (adsicui) umfaßt haben; sie werden der Tribus zugeschrieben, 
in welcher ihre Grundstücke liegen, wobei eigene Wahl und Belieben der Beamten mitwirkten. 
Die Tribus sind sonach politische Abteilungen des Volks unter einem tribunus aerarius; als 
solche nicht sakrale Genossenschaften, zu Rechtsgeschäften und selbständigen Beschlüssen unfähig. 
Neben dieser Einteilung des Volkes in Tribus geht eine zweite einher: die in Zenturien. 
Die Bürger werden nach dem Vermögen (nicht etwa nach dem bloßen Grundbesitze) in fünf 
Klassen geschieden, jedoch so, daß die selber vermögenslosen Haussöhne in der Klasse ihrer Ge- 
walthaber stehen; jede Klasse zerfällt in eine bestimmte Zahl von Zenturien, die erste (classici) 
in achtzig, die drei folgenden in je zwanzig, die fünfte in dreißig; in allen Klassen besteht die eine 
Hälfte der Zenturien aus juniores (bis zu 46 Jahren), die andere aus seniores (bis zu 60 Jahren). 
Dazu kommen noch: 1. achtzehn Zenturien Reiter (equites), von denen sechs (die sex suffragia) 
ursprünglich rein patrizisch waren; 2. vier Zenturien Kriegshandwerker und Musikanten; 3. eine 
Zenturie Proletarier. Im ganzen sind es 193 Zenturien. Der Versammlung des so nach 
Zenturien gegliederten Volkes (comitia centuriata) soll Sewius die politische Rolle der alten 
comitia curiata übertragen haben. Die Abstimmung darin findet nach Zenturien statt. Die 
equites stimmen zuerst, dann die erste Klasse; sind diese 98 Zenturien einig, so ist damit bereits 
die Mehrheit erreicht. 
Diese Zenturienverfassung steht zweifellos in einem gewissen Zusammenhang mit der 
Wehrpflicht und der Heeresorganisation. Die 18 Reiterzenturien bildeten, wie wir wissen, 
eine stehende Reitertruppe; es werden uns gewisse Unterschiede in der militärischen Ausrüstung 
zwischen den Klassen überliefert (Liv. I 43, Dionys IV 16 f.) und berichtet, daß die iuniores 
für den Felddienst, die seniores als eine Art Landwehr zur Verteidigung der Stadt bestimmt 
gewesen seien, u. a. m. Durchaus verfehlt ist jedoch der Versuch Mommsensu, die ganze 
Zenturienverfassung bis ins einzelne im Sinn einer ursprünglichen Heeresorganisation deuten 
zu wollen. Bei diesem Versuch stößt man auf Unmöglichkeiten. Um von anderen Bedenken 
abzusehen: das militärische Bedürfnis fordert geschlossene Abteilungen bestimmter Mann- 
schaftszahl, läßt also den Verschiebungen keinen Raum, die das Wachstum der Bevölkerung, 
der Wechsel der Besitzverhältnisse in dem Bestand der Zenturien notwendig mit sich bringen 
mußten. Man mag sich ferner die sozialen Zustände des alten Roms noch so günstig vorstellen, 
so bleibt doch eine Besitzverteilung undenkbar, bei der die wohlhabendste Klasse etwa die Hälfte 
der ganzen Bevölkerung ausgemacht hätte. Die taktische Einheit der römischen Reiterei war 
weiter niemals die centuria, sondern die turma von 30 Mann. Und soll man sich gar vorstellen, 
daß im römischen Heere die Kriegshandwerker und Musikanten, statt den einzelnen Truppen- 
körpern zugeteilt zu werden, Zenturien für sich gebildet hätten? Vielmehr ist klar: die Zen- 
turienverfassung ist zwar in gewissen Einzelheiten durch militärische Gesichtspunkte bestimmt 
gewesen; insbesondere das Stimmrecht in den fünf Klassen durch die Wehrpflicht. In ihrem 
1 Staatsrecht III S. 240 f. 
Encyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufsl. Band I. 21
	        
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